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Hannibal

Hannibal

Titel: Hannibal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Harris
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Er trug aber auch die Narben eines Mannes, der sich in der Hast und Hitze seines Ehrgeizes mit einem Schlag um alles gebracht, sein Talent statt am Griff an der Klinge gepackt hatte. Hier, an diesem Ort, sollten die Würfel fallen. Hier hatte er einst die Epiphanie erlebt, die ihn zunächst berühmt gemacht und dann ruiniert hatte. Pazzi hatte den italienischen Glauben an die Ironien des Schicksals zutiefst verinnerlicht: Wie sehr fügte sich doch alles zu einem Bild, daß ihm hier, unterhalb dieses Fensters, wo der zornige Geist seines Vorfahren wahrscheinlich noch immer gegen die Wand schlug, jene schicksalhafte Offenbarung zuteil wurde. Hier an diesem Ort könnte er für immer die Geschicke der Pazzi zum Besseren wenden. Die Jagd auf einen anderen Serienkiller, Il Mostro, hatte Pazzi berühmt gemacht und dann dazu geführt, daß ihm die Krähen die Augen aushackten. Diese Erfahrung hatte seine neue Entdeckung ermöglicht. Aber das Ende des Il-Mostro -Falles hatte Pazzi bitter werden lassen und ihn dazu verleitet, sich auf ein gefährliches Spiel außerhalb der Legalität einzulassen. Il Mostro, das Ungeheuer von Florenz, machte in den achtziger und neunziger Jahren siebzehn Jahre lang in der Toskana Jagd auf Liebende. Das Ungeheuer lauerte Liebespaaren auf, die sich zum erotischen Stelldichein in der Idylle der toskanischen Landschaft trafen. Gewöhnlich tötete Il Mostro die Liebenden mit einer kleinkalibrigen Pistole und inszenierte dann ein sorgsam mit Blumen geschmücktes Tableau, das die Frau mit entblößter linker Brust zeigte. Die Arrangements hatten etwas seltsam Vertrautes an sich und hinterließen einen Hauch von Deja -vu. Das Ungeheuer schnitt aus den Körpern der Opfer anatomische Trophäen heraus, mit einer Ausnahme: einem langhaarigen schwulen Liebespaar aus Deutschland, das er wohl aus Versehen getötet hatte. Der öffentliche Druck auf die Questura, Il Mostro endlich dingfest zu machen, war immens und kostete Pazzis Vorgänger das Amt. Als Pazzi zum Chefinspektor ernannt wurde, glich er einem Mann, der sich eines lästigen Wespenschwarms zu erwehren hatte, so sehr war die Presse hinter ihm und seiner Abteilung her. Wann immer sich eine Gelegenheit bot, suchten sie seine Büroräume heim. In der Via Zara, hinter dem Hauptquartier der Questura, lauerten Fotografen, um Fotos von ihm zu schießen, wenn er vom Hof fuhr. Touristen, die in dieser Zeit Florenz besucht haben, werden sich vielleicht noch an das Plakat mit dem wachsamen Auge erinnern, das überall hing, um Liebespaare vor Il Mostro zu warnen. Pazzi arbeitete wie ein Besessener. Er bat die Abteilung für Verhaltensforschung des FBI um Hilfe bei der Erstellung eines Täterprofils und las sich durch die Literatur über Methoden der kriminologischen Analyse von Serienmördern. Er ordnete vorbeugende Maßnahmen an: An einigen der von den Liebespaaren bevorzugten Orten saßen zeitweise mehr Polizisten als Liebende paarweise in den Autos. Es gab nicht genügend Polizeibeamtinnen für die Einsätze, also gingen an heißen Tagen männliche Paare auf Streife, einer von beiden mit einer Perücke drapiert. Viele Schnurrbärte wurden dem Dienst an der Sache geopfert, Pazzi ging dabei mit gutem Beispiel voran. Das Ungeheuer war vorsichtig. Es schlug zwar zu, schien aber nicht unter dem Druck zu stehen, es oft tun zu müssen. Im Laufe der Jahre registrierte Pazzi, daß es lange Zeiträume gab, in denen das Monster überhaupt nicht zuschlug - einmal betrug die Lücke acht Jahre. Pazzi konzentrierte sich auf dieses auffällige Faktum. Er arbeitete sorgfältig, mit enormem Einsatz, zwang alle erdenklichen Organisationen in seine Dienste und erstellte auf dem einzigen Computer der Questura und dem kurzerhand beschlagnahmten Rechner seines Neffen eine Liste sämtlicher Krimineller Norditaliens, deren Haftstrafen zeitlich mit den Lücken in Il Mostros Mordserie übereinstimmten. Die Liste umfaßte siebenundneunzig Namen. Pazzi organisierte sich einen großen und schnellen Alfa-Romeo GTV älteren Datums, der einem
einsitzenden Bankräuber gehörte, riß Monat für Monat mehr als fünftausend Kilometer ab und suchte vierundneunzig der Verurteilten persönlich auf und verhörte sie. Die restlichen drei waren Behinderte oder tot. Die Tatorte boten so gut wie keine verwertbaren Spuren, die ihm hätten helfen können, die Liste einzugrenzen. Keine Körperflüssigkeiten des Täters, keine Fingerabdrücke. Eine einzige Patronenhülse wurde an einem Tatort in Impruneta

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