Hannibal
den Atem. Ein alter und ein neuer Eintrag. Dem jüngsten Update zufolge existierte ein Röntgenbild, das bewies, daß Dr. Lecter sich wahrscheinlich einer Operation an der Hand unterzogen hatte. Die etwas ältere Geschichte war ein Scan eines handschriftlichen Polizeiberichts aus Tennessee, aus dem hervorging, daß Hannibal Lecter eine Bandaufnahme der »Goldberg-Variationen« gehört hatte, während er seine Bewacher in Memphis umbrachte. Das Plakat, das von dem schwerreichen amerikanischen Opfer Mason Verger in Umlauf gebracht worden war, rief jeden Informanten pflichtschuldigst dazu auf, die weiter unten abgedruckte Nummer des FBI anzurufen. Es gab die übliche Warnung, Dr. Lecter sei bewaffnet und gefährlich. Eine private Telefonnummer war vermerkt, direkt unter dem Absatz, der die riesige Belohnung in Aussicht stellte. Der Flug von Florenz nach Paris kostete ein kleines Vermögen, und Pazzi mußte ihn aus eigener Tasche bezahlen. Er glaubte nicht, daß die französische Polizei ihm ohne lästige Nachfragen einen Telefonanschluß zur Verfügung stellen würde, wußte aber auch nicht, wie er ihn auf anderem Wege bekommen konnte. Er rief von einer AmericanExpress-Telefonkabine in der Nähe der Oper die auf dem Plakat angegebene private Telefonnummer an. Er ging davon aus, daß der Anruf zurückverfolgt würde. Pazzi sprach zwar leidlich gut Englisch, aber ihm war auch klar, daß ihn sein Akzent als Italiener entlarven würde. Die Stimme am anderen Ende der Leitung war männlich, amerikanisch, sehr ruhig. »In welcher Angelegenheit rufen Sie an?« »Ich verfüge unter Umständen über Informationen, die Hannibal Lecter betreffen.« »Danke, daß Sie uns anrufen. Kennen Sie seinen derzeitigen Aufenthaltsort?« »Ich glaube es zumindest. Gilt das mit der Belohnung noch?« »Ja. Welche handfesten Beweise haben Sie, daß es sich bei besagter Person wirklich um Hannibal Lecter handelt? Bitte haben Sie Verständnis für meine Frage, wir erhalten jede Menge Anrufe von Leuten, die sich wichtig machen wollen.« »Nur so viel, er hat sich einer kosmetischen Gesichtsoperation und einem chirurgischen Eingriff an der linken Hand unterzogen. Er kann noch immer die >Goldberg-Variationen< spielen. Er besitzt brasilianische Papiere.« Eine Pause trat ein. Dann: »Warum haben Sie sich damit nicht an die Polizei gewandt? Ich bin dazu angehalten, Ihnen genau das vorzuschlagen.« »Wird die Belohnung in jedem Fall ausgezahlt?« »Die Belohnung ist für Informationen ausgesetzt, die zur Ergreifung und Verurteilung führen.« »Würde die Belohnung auch . .. unter besonderen Umständen ausbezahlt?« »Sprechen Sie von einem Kopfgeld auf Dr. Lecter, das einer Person ausgezahlt werden würde, der es normalerweis e verwehrt ist, eine Belohnung anzunehmen?« »Ja.« »Wir arbeiten beide auf dasselbe Ziel hin. Bleiben Sie also bitte am Apparat, während ich Ihnen einen Vorschlag mache. Es ist gegen internationale Vereinbarungen und gegen das US-amerikanische Gesetz, eine Belohnung auf jemanden auszusetzen, Sir. Bleiben Sie bitte am Apparat. Darf ich fragen, ob Sie aus Europa anrufen?« »Ja, das tue ich. Das ist aber auch alles, was ich Ihnen dazu sagen werde.« »Gut, hören Sie mich an. - Ich schlage vor, daß Sie mit einem Anwalt Kontakt aufnehmen und, was die Frage nach der Legalität von Kopfgeld betrifft, seinen juristischen Rat einholen. Unternehmen Sie auf gar keinen Fall Schritte gegen Dr. Lecter, die als ungesetzlich einzustufen sind. Darf ich Ihnen einen Anwalt empfehlen? Es gibt einen in Genf, der sich auf diese Fragen spezialisiert hat. Darf ich Ihnen seine Telefonnummer durchgeben? Der Anruf ist gebührenfrei. Ich rate Ihnen nachdrücklich, ihn anzurufen und diese Angelegenheit in aller Offenheit mit ihm zu diskutieren.« Pazzi kaufte sich eine Telefonkarte und tätigte seinen nächsten Anruf aus einer Telefonkabine im Kaufhaus Bon Marche. Er hatte eine Person mit einem trockenen Schweizer Tonfall am Ende der Leitung. Das Gespräch dauerte keine fünf Minuten. Mason Verger war bereit, eine Million US-Dollar für Dr. Lecters Kopf und beide Hände zu bezahlen. Denselben Betrag für Informationen, die zu dessen Verhaftung führten. Drei Millionen Dollar aber für Dr. Hannibal Lecter lebend. Keine lästigen Fragen. Dis kretion garantiert. Dieses Angebot beinhaltete zusätzlich einen Vorschuß von
einhunderttausend Dollar, wenn Pazzi einen Fingerabdruck von Dr. Lecter lieferte, genauer gesagt, einen Fingerabdruck in situ auf einem
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