Hannibal
Objekt. In diesem Fall könnte er den Rest des Geldes in einem Schließfach in der Schweiz, das treuhänderisch auf seinen Namen eingerichtet werde, in Augenschein nehmen. Bevor er Bon Marche verließ und zum Flughafen fuhr, kaufte Pazzi noch ein pfirsichfarbenes Neglige aus Seide für seine Frau.
KAPITEL 23
Wie verhält man sich, wenn man weiß, daß die traditionellen Ehrvorstellungen wertlos geworden sind? Wenn man mit Marc Aurel zu der Überzeugung gelangt, daß der Meinung künftiger Generationen kaum mehr Wert beizumessen ist als der
gegenwärtigen? Ist es möglich, sich richtig zu verhalten? Ist es überhaupt wünschenswert? Rinaldo Pazzi, ein Pazzi der Pazzi, Chefinspektor der Questura in Florenz, hatte sich zu entscheiden, was ihm seine Ehre wert war oder oh es eine Weisheit gab, die tiefer reichte als die Frage der Ehre, Zur Abendessenszeit war er wieder aus Paris zurück und ruhte ein wenig. Er wollte seine Frau um Rat fragen, aber er konnte es nicht, obwohl ihn ihre Nähe tröstete. Später, als ihr Atem sich wieder beruhigt hatte, lag er noch lange wach. Spätnachts verwarf er jeden Gedanken an Schlaf, stand auf und ging spazieren. So ließ es sich leichter denken. Habsucht war auch in Italien keine Unbekannte, und das geistige Klima seiner Heimatstadt bot Rinaldo Pazzi ausreichend Gelegenheit, mit ihr Bekanntschaft zu schließen. Aber seine angeborene Gewinnsucht und sein Ehrgeiz waren in Amerika angestachelt worden, wo jeder Einfluß viel schneller spürbar war, den Tod Gottes und die Allmacht des Mammons mit eingeschlossen. Als Pazzi aus dem Schatten der Loggia trat und auf der Stelle stand, an der man Savonarola verbrannt hatte, als er zu dem vom Flutlicht des Palazzo Vecchio angestrahlten Fenster aufblickte, wo sein Vorfahre gestorben war, glaubte er ernsthaft nachzudenken. Was er aber nicht wirklich tat. Denn er hatte sich bereits entschieden, Stück für Stück. Wir ordnen einer Entscheidung einen bestimmten Moment zu, um dem Entscheidungsprozeß den Anschein von Rationalität und bewußtem Denken zu verleihen. Aber Entschlüsse sind aus verwobenen Gefühlen gemacht; sie sind viel häufiger ein Klumpen als ein Ergebnis. Pazzi hatte sich entschieden, als er das Flugzeug nach Paris bestieg. Und er hatte sich vor einer Stunde entschieden, als seine Frau in ihrem neuen Neglige ihren ehelichen Pflichten nachkam. Und Minuten später, als er sich, im Dunkeln liegend, zu ihr hinübergebeugt hatte, um ihr die Wange zu streicheln und ihr einen sanften Gutenachtkuß zu geben, und eine Träne seine Handfläche benetzt hatte. Da, nichts ahnend, aß sie still sein glühend Herz. Und die Ehre? Eine neuerliche Gelegenheit, den Atemhauch des Erzbischofs ertragen zu dürfen, während heilige Feuersteine aneinanderschlagen, um die Rakete im Arsch einer falschen Taube zu zünden? Noch mehr Lob von Politikern, deren Privatleben er leider nur zu gut kannte? Was war es denn wert, als der Polizeibeamte in die Geschichte einzugehen, der Dr. Hannibal Lecter gefaßt hatte? Für einen Polizisten hat Anerkennung nur eine kurze Halbwertzeit. VERKAUFE IHN. Der Gedanke durchzuckte und verfolgte Rinaldo Pazzi, ließ ihn blaß und entschlossen aussehen. Und als für den Bildmenschen Pazzi die Würfel fielen, glaubte er zwei Gerüche in der Nase zu haben, den seiner Frau und den vom Ufer der Chesapeake Bay. VERKAUFE IHN.
VERKAUFE IHN. VERKAUFE IHN. VERKAUFE IHN. VERKAUFE IHN. VERKAUFE IHN. Francesco de’ Pazzi hatte 1478 nicht weniger heftig zugestochen, als er Giuliano auf den Boden der Kathedrale warf und in seinem Wüten sich selbst das Messer in die Seite rammte.
KAPITEL 24
Dr. Hannibal Lecters Fingerabdruckskarte stellt ein Kuriosum dar und hat den Status eines Kultobjekts. Das Original hängt eingerahmt an der Wand des Erkennungsdienstes. Den Gepflogenheiten des FBI bei Leuten mit mehr als fünf Fingern folgend, zeigt sie den Daumen und die vier benachbarten Finger auf der Vorder- und den sechsten Finger auf der Rückseite. Als dem Doktor die Flucht glückte, gingen Kopien der Karte um die ganze Welt. Außerdem fand sich der Daumenabdruck, stark vergrößert und mit genügend Punkten markiert, auf Mason Vergers Steckbrief, so daß es selbst für einen ungeübten Betrachter ein leichtes war, einen Treffer zu landen. Per Umgang mit Fingerabdrücken stellte an sich keine große Herausforderung dar, und Pazzi war durchaus in der Lage, einen Fingerabdruck fachmännisch abzunehmen und ihn einem groben Vergleich zu unterziehen,
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