Hannibal
ein fünftes Mal zu wiederholen. »Folge ihm, Romula. Warte auf dieser Seite am Ponte Vecchio. Du erwischst ihn auf dem Rückweg, mit einer vollen Einkaufstasche. Ich werde ihm ein gutes Stück vorauseilen. Du siehst mich zuerst. Ich bleibe in der Nähe. Falls es ein Problem geben sollte, wenn du verhaftet wirst, werde ich mich darum kümmern. Wenn er irgendwo anders hingeht, gehst du in die Wohnung zurück. Ich ruf dich an. Klemm diese Fahrerlaubnis unter die Windschutzscheibe eines Taxis, und komm dann so schnell wie möglich zu mir.« »Eminenza«, sagte Romula, seinen Titel auf typisch italienische Weise ironisch übertreibend, »wenn es ein Problem gibt und mir jemand zu Hilfe eilt, verletzen Sie ihn bitte nicht; mein Freund ist kein Dieb, lassen Sie ihn bitte laufen.« Pazzi wartete nicht auf den Aufzug, sondern hastete in einem ölverschmierten Blaumann und mit einer Mütze auf dem Kopf die Treppe hinunter. Es ist schwierig, in Florenz jemanden zu beschatten, weil die Gehsteige sehr schmal sind und ein Menschenleben auf der Straße nichts gilt. Pazzi hatte ein verbeultes motorino, drapiert mit einem Dutzend Besen, an der Bordsteinkante geparkt. Der Motorroller startete mit dem ersten Kick, und in einer blauen Abgaswolke knatterte der Chefinspektor los. Der Roller unter ihm hüpfte auf dem
Kopfsteinpflaster wie ein kleiner, bockiger Esel, Pazzi trödelte, kämpfte sich durch den unglaublichen Verkehr, wurde lautstark angehupt, kaufte sich Zigaretten, schlug Zeit tot, bis er sich sicher war, wohin Dr. Fell ging. Am Ende der Via de’ Bardi kam ihm die Einbahnstraße Borgo San Jacopo entgegen. Pazzi ließ den Roller auf dem Bürgersteig stehen und folgte dem Doktor zu Fuß. Immer wieder mußte er seinen flachen Körper zur Seite drehen, um sich durch den Touristenstrom am Südende des Ponte Vecchio hindurchschlängeln zu können. Die Florentiner sagen, daß das »Vera dal 1926« mit seiner reichhaltigen Auswahl an Käsesorten und Trüffeln wie die Füße Gottes duftet. Der Doktor ließ sich im Laden Zeit. Er traf eine Auswahl aus den gerade eingetroffenen ersten weißen Trüffeln der Saison. Pazzi sah, über die unglaubliche Auslage an Schinken und Nudeln im Schaufenster hinweg, seinen Rücken. Pazzi ging um die Ecke, kam zurück und wusch sich sein Gesicht im Strahl eines wasserspeienden Löwenhaupts. »Du solltest dich besser rasieren, wenn du für mich arbeiten willst«, sagte er zu dem Springbrunnen, von einem kalten Druck im Magen geplagt. Der Doktor trat mit ein paar kleinen Paketen in seiner Tasche aus dem Geschäft auf die Straße. Er machte sich über den Borgo San Jacopo auf den Nachhauseweg. Pazzi eilte ihm auf der anderen Straßenseite voraus. Die vielen Menschen auf dem schmalen Bürgersteig zwangen ihn, von Zeit zu Zeit auf die Straße zu treten. Ein Wagen der Carabinieri streifte ihn mit dem Außenspiegel am Handgelenk. »Stronzo! Analfabeta!« schrie der Fahrer aus dem Fenster, und Pazzi schwor Rache. Als er schließlich den Ponte Vecchio erreichte, hatte er einen Vorsprung von etwa vierzig Metern. Romula stand, das Baby in ihrem Holzarm wiegend, in einem Hauseingang. Ihre andere Hand hatte sie den Passanten entgegengestreckt. Der unter ihrer weiten Kleidung verborgene freie Arm war bereit, den zweihundert Geldbörsen, die sie in ihrem Diebesleben schon hatte mitgehen lassen, eine weitere
hinzuzufügen. An ihrem Handgelenk trug sie das breite, auf Hochglanz polierte Silberarmband. Jeden Augenblick würde das Opfer sich im Gedränge an ihr vorbeischieben. Wenn der Doktor aus der Menge auftauchte und auf die Via de’ Bardi trat, würde Romula ihn anrempeln, ihren Job erledigen und dann im Strom der Touristen untertauchen, der die Brücke verstopfte. In der Menge wußte sie einen Freund, auf den sie sich verlassen konnte. Sie kannte das Opfer nicht und traute dem Polizeibeamten nicht zu, sie im Fall der Gefahr wirksam zu schützen. Giles Prevert der Polizei einschlägig als Giles Dumain oder Roger LeDuc bekannt, wurde auf der Straße Gnocco genannt. Er wartete am Südende des Ponto Vecchio in der Menge darauf, daß Romula zuschlug. Gnoccos unsteter Lebenswandel hatte seine Spuren hinterlassen, sein Schädel nahm immer mehr die Züge eines Totenkopfs an, aber er war stark und drahtig genug, um Romula tatkräftig zur Seite zu stehen, wenn die Sache schieflaufen sollte. Gekleidet wie ein Angestellter, hob er sich nicht von der Menge ab. Von Zeit zu Zeit richtete er sich zu seiner vollen Größe auf und
Weitere Kostenlose Bücher