Hannibal
rollten. Matteo hatte schon einige Eimer mit Hackfleisch, diverse ungerupfte tote Hühner, etwas fauliges Obst, um das bereits Fliegen schwärmten, und einen Eimer mit Rindergedärm und Innereien bereitgestellt. Er breitete eine zerrissene Khakihose auf der Bahre aus und begann sie mit Hühnern, Fleischbrocken und Früchten vollzustopfen. Dann nahm er ein Paar Handschuhe und füllte sie mit der Fleischmasse und Eicheln. Sorgfältig stopfte er jeden einzelnen Finger aus und schob die Handschuhe als Füße unten in die Hosenbeine. Das Ensemble komplettierte er durch ein Hemd, das er mit Gedärmen und Innereien aufpolsterte. Bevor er das Hemd zuknöpfte und adrett in die Hose steckte, arbeitete er mit Brotrinden die Konturen eines Oberkörpers heraus. Ein paar Handschuhe gaben die Hände ab. Für den Kopf verwendete er eine ausgehöhlte Melone, der er ein Haarnetz übergestülpt hatte. Dort, wo bei einem Menschen normalerweise das Gesicht zu sehen war, hatte er die Melone aufgeschnitten und mit Fleischmasse angefüllt. Zwei gekochte Eier mußten als Augen herhalten. Als er damit fertig war, ging das Ergebnis als leicht in die Breite gegangenes Mannequin durch, das aber auf der Bahre Immer noch besser aussah als die meisten Todesspringer, wenn man sie abtransportierte. Das I-Tüpfelchen markierte das sündhaft teure Aftershave, das Matteo auf d ie falschen Hände und auf die »Stirn« der Melone sprühte. Carlo deutete mit dem Kinn auf Orestes schlanken Assistenten, der, über den Zaun gelehnt, den Mikrofongalgen über dem Pferch auszog und dessen Reichweite kontrollierte. »Sag deiner kleinen Schwuchtel, daß ich keinen Finger rühre, wenn sie reinfällt.« Schließlich war alles fertig. Piero und Tommaso senkten die Bahre auf die niedrigste Einstellung ab und schoben sie vor das Gatter des Pferchs. Carlo holte ein Tapedeck und einen Verstärker aus dem Haus. Er besaß eine Anzahl von Kassetten, teilweise von ihm selbst aufgenommen, als er Entführungsopfern die Ohren abgeschnitten hatte, Um den Verwandten per Post eine kleine Freude zu machen. Carlo spielte den Tieren, während sie fraßen, grundsätzlich Kassetten vor. Er würde nicht länger darauf zurückgreifen müssen, wenn er erst ein wirkliches Opfer vor sich hatte, das für die entsprechende Klangkulisse selbst Sorge trug. Zwei bereits vom Wetter mitgenommene Außenlautsprecher waren an die Türpfosten der Hütte genagelt. Die Sonne stand hoch über der blühenden Wiese, die leicht abschüssig auf den Waldrand zulief. Der um die Wiese gezogene feste Zaun setzte sich in den Wald hinein fort. In der mittäglichen Ruhe konnte Oreste eine Biene unter dem Hüttendach summen hören. »Bist du soweit?« fragte Carlo. Oreste wandte sich der eingerichteten Kamera zu. »Giriamo«, rief er seinem Kameramann zu. »Pronti!« tönte es zurück. »Motore!« Die Kameras liefen. »Partito!« Der Ton fuhr ab. »Azione!« Oreste stieß Carlo in die Seite. Der Sarde drückte die Starttaste des Tapedecks, und ein markerschütternder Schrei, gefolgt von Weinen und herzerweichendem Flehen, erklang. Der Kameramann fuhr zusammen und rang um Fassung. Das Schreien, so schrecklich es sich auch anhören mochte, war doch nur die passende Ouvertüre zu den Fratzen, die in Erwartung von Futter aus dem Wald gestürzt kamen.
KAPITEL 32
Ein Tagesausflug nach Genf, um das Geld zu sehen. Das Flugzeug, eine Aerospatial-Propellermaschine, die zwischen Florenz und Mailand pendelte, stieg in den Morgenhimmel auf und ließ leicht schaukelnd die Weinberge mit ihren weit auseinanderstehenden Rebstockreihen unter sich zurück. Mit einemmal wirkte die Toskana wie das Modell eines Landschaftsarchitekten. Doch irgend etwas stimmte nicht mit der Farbgebung der Landschaft - die neuen Swimmingpools neben den Villen der reichen Ausländer leuchteten in einem falschen Blau. Für Pazzi, der aus einem Fenster des Flugzeugs schaute, waren die Pools milchigblau wie ein gealtertes krankes Auge, eine Farbe, die so gar nicht zu den dunklen Zypressen und silbrig schimmernden Olivenbäumen paßte. Rinaldo Pazzis Stimmung hob sich im selben Maße, wie sich das Flugzeug in den Himmel schraubte. Tief in seinem Inneren wußte er, daß er dort unten nicht alt werden würde, abhängig von den Launen seiner Vorgesetzten und um korrektes Verhalten bemüht, damit er die Pension bekäme. Anfänglich hatte er befürchtet, Dr. Lecter könnte nach der Ermordung von Gnocco einfach untertauchen. Als Pazzi Dr. Lecters
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