Hannibal
Dort werden Sie Anweisungen von dem Mann bekommen, der Dr. Lecter aus dem Verkehr ziehen wird. Er wird Sie danach fragen, ob Sie einen Blumenhändler kennen. Antworten Sie ihm, daß alle Blumenhändler Diebe sind. Haben Sie mich verstanden? Ich möchte, daß Sie mit ihm zusammenarbeiten.« »Ich möchte nicht, daß Dr. Lecter in meinem Beisein ... Ich will ihn nicht in der Nähe von Florenz wissen, wenn er ...« »Ich kann Ihre Bedenken nachvollziehen. Haben Sie keine Sorge, es wird nicht dort geschehen.« Dann war die Leitung tot. Nach ein paar Minuten waren alle Formalitäten erledigt und zwei Millionen Dollar auf ein Anderkonto eingezahlt. Mason Verger hatte keinen Zugriff auf das Konto, konnte es aber für Pazzi freigeben. Ein hochrangiger Vertreter der Credit Suisse, der in das Besprechungszimmer gerufen worden war, setzte Pazzi davon in Kenntnis, daß die Bank ihm einen Strafzins in Rechnung stellen würde, falls er den Betrag in Schweizer Franken zu tauschen wünsche, und ihm drei Prozent Zinseszins lediglich für die ersten einhunderttausend Franken zu zahlen bereit wäre. Er überreichte Pazzi eine Kopie des Artikel 47 des schweizerischen »Bundesgesetzes über Banken und Sparkassen« betreffs des Bankgeheimnisses und bot an, unmittelbar nach der Freigabe des Geldes eine telegrafische Überweisung zur »Royal Bank of Nova Scotia« oder zu den Cayman Islands zu veranlassen, falls Pazzi dies wünschte. In Gegenwart eines Notars hinterlegte Pazzi eine Bankvollmacht für seine Frau im Fall seines Todes. Das Geschäft kam zu einem Abschluß. Einzig der Schweizer Bankmensch offerierte einen Händedruck. Pazzi und Mr. Konie vermieden jeden Blickkontakt, obgleich Mr. Konie beim Hinausgehen Pazzi noch einen guten Tag wünschte. Das Flugzeug quälte sich auf der letzten Reiseetappe von Mailand nach Florenz durch ein heftiges Gewitter. Der Propeller auf Pazzis Seite des Flugzeugs zeichnete sich als dunkler Kreis vor dem Hintergrund des tiefgrauen Himmels ab. Es blitzte und donnerte, als sie, den Campanile und die Kuppel der Kathedrale unter sich, in einem Bogen über die Altstadt kurvten. Die Lichter gingen in der frühen Abenddämmerung an. Dann ein Blitz und heftiges Krachen, ähnlich dem, das Pazzi in seiner Kindheit erlebt hatte, als die Deutschen die Brücken über dem Arno sprengten und nur den Ponte Vecchio verschonten. Und für den Bruchteil einer Sekunde erinnerte er sich auch wieder an den Heckenschützen, den er als kleiner Junge gesehen hatte, sah den Mann vor sich, der zum letzten Gebet an die »Madonna in Ketten« gekettet worden war, bevor man ihn erschoß. Pazzi roch das durch die Blitze freigesetzte Ozon und spürte die Erschütterungen der Donnerschläge im Flugzeugrumpf, während die Maschine im Sinkflug durch die Wolken brach. So kehrte Pazzi, aus der alteingesessenen Familie der Pazzi mit Zielen so alt wie die Menschheit, zurück in seine altehrwürdige Heimatstadt Florenz.
KAPITEL 33
Rinaldo Pazzi hätte gern eine Rundumüberwachung seiner Beute im Palazzo Capponi angeordnet, doch das war nicht machbar. Statt dessen mußte sich Pazzi, immer noch ganz hingerissen von dem Anblick des Geldes, in Schale werfen und seine Frau auf einem langerwarteten Konzert des Kammerorchesters Florenz treffen. Das Teatro Piccolomini, eine im 19. Jahrhundert erbaute Kopie im Maßstab 1:2, von Venedigs berühmtem Teatro La Fenice, ist ein barockes Juwel aus Blattgold und Plüsch mit Cherubinen an der herrlichen Decke, die jeglichen Gesetzen der Aerodynamik spotten. Ein Gutes hat die Schönheit des Theaters: Die Künstler brauchen oft alle Unterstützung, die sie bekommen können. Es ist unfair, aber unvermeidlich, daß sich die Musik in Florenz mit dem hoffnungslos hohen Kunstniveau in der Stadt messen soll. Unter den Florentinern gibt es eine ebenso große wie kenntnisreiche Gruppe von Musikliebhabern, was typisch ist für Italien, aber manchmal sind sie regelrecht ausgehungert nach musikalischen Darbietungen der Spitzenklasse. Pazzi ließ sich während des Applauses, der nach der Ouvertüre aufbrandete, in den Sitz neben seiner Frau sinken. Sie bot ihm die wohlriechende Wange zum Kuß. Ein warmes Gefühl durchströmte ihn, als er sie, die Partitur in der Mappe von Gucci vor sich - ein Geschenk von ihm -, in ihrem tief
dekolletierten Abendkleid dasitzen sah. Und dann erst der betörende Duft, der ihrem Brustansatz entstieg. »Sie klingen um so vieles besser mit dem neuen Bratschisten«, hauchte sie ihm ins Ohr.
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