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Hannibal

Hannibal

Titel: Hannibal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Harris
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Dieser wirklich ausgezeichnete Spieler der Viola da Gamba war als Ersatz für den wegen seiner Unfähigkeit berüchtigten Vorgänger engagiert worden, einem Cousin von Sogliato, der vor einigen Wochen unter mysteriösen Umständen verschwunden war. Dr. Hannibal Lecter, allein, makellos mit weißer Krawatte, blickte aus einer Loge im Rang. Sein Gesicht und die Vorderseite seines Hemdes schienen, umrahmt von den vergoldeten
Barockschnitzereien, in der dunklen Loge zu schweben. Pazzi bemerkte ihn, als die Lichter nach dem ersten Satz kurz angingen. Genau in dem Moment, als Pazzi die Augen von der Gestalt des Doktors lösen wollte, fuhr dessen Kopf wie der einer Eule herum, und ihre Blicke trafen sich. Pazzi drückte die Hand seiner Frau so fest, daß sie sich ihm zuwandte. Danach hatte Pazzi nur noch Augen für das Geschehen auf der Bühne. Sein Handrücken berührte warm die Hüfte seiner Frau, die seine Hand in der ihren hielt. Als Pazzi in der Pause mit einem Sekt vom Büffet zurückkehrte, stand Dr. Lecter neben seiner Frau. »Guten Abend, Dr. Fell«, sagte Pazzi. »Guten Abend, Commendatore«, sagte der Doktor. Er wartete mit der Andeutung einer Verbeugung, bis Pazzi gezwungen war, die beiden einander vorzustellen. »Laura, darf ich dir Dr. Fell vorstellen? Dr. Fell, meine Frau, Signora Pazzi.« Signora Pazzi, daran gewöhnt, für ihre Schönheit Komplimente zu bekommen, fand das, was folgte, auf seltsame Weise charmant, was man von ihrem Ehemann nicht gerade sagen konnte. »Ich weiß nicht, womit ich diese besondere Ehre verdient habe, Commendatore«, sagte der Doktor. Seine rote, spitze Zunge wurde für den Bruchteil einer Sekunde sichtbar, bevor er sich über Signora Pazzis Hand beugte; seine Lippen kamen für Florentiner Gepflogenheiten der Haut vielleicht eine Spur zu nahe. Sicherlich nahe genug, daß Signora Pazzi seinen Atem auf ihrer Haut spüren konnte. Seine Augen suchten ihren Blick, bevor er den Kopf hob. »Scarlatti scheint Sie ganz besonders zu erfreuen, Signora Pazzi.« »In der Tat, ich genieße seine Musik.« »Es war schön, Sie die Partitur mitlesen zu sehen. Kaum jemand tut das noch. Ich hoffe, daß dies hier Sie interessieren wird.« Er nahm eine Mappe unter seinem Arm hervor. Es war eine alte, pergamentene Partitur, von Hand kopiert. »Das hier stammt aus dem Teatro Capranica in Rom. Es ist aus dem Jahr 1688, dem Jahr, in dem das Stück komponiert wurde.«
»Meraviglioso! Sieh nur, Rinaldo!« »Ich habe mir während des ersten Satzes erlaubt, einige der Abweichungen der modernen Partitur auf Transparentpapier zu notieren. Bitte haben Sie die Güte, diese Bögen von mir anzunehmen. Ich kann sie ja jederzeit über Signor Pazzi wiederbekommen - ist es gestattet,
Commendatore?« Der Doktor schaute Pazzi tief, sehr tief in die Augen, als dieser ihm antwortete. »Wenn es dir Freude macht, Laura«, sagte Pazzi. Ein Gedanke durchzuckte ihn. »Werden Sie denn am Freitag vor der Studiolo sprechen, Doktor?« »Ja, Freitag abend, um genau zu sein. Sogliato kann es kaum abwarten, mich diskreditiert zu sehen.« »Gegen Abend werde ich in der Altstadt zu tun haben«, sagte Pazzi. »Da kann ich Ihnen die Partitur vorbeibringen. Laura, die Studiolo, diese Drachen, haben Dr. Fell zum Vorsingen geladen.« »Ich bin mir sicher, verehrter Doktor, daß Sie den richtigen Ton zu treffen wissen«, sagte sie und schenkte ihm einen Blick aus ihren großen, dunklen Augen, der die Grenzen des Schicklichen streifte, aber eben doch nur streifte. Dr. Lecter lächelte. Seine kleinen weißen Zähne blitzten. »Madame, wenn ich der Hersteller von Fleur du Ciel wäre, würde ich Ihnen jeden Schatz der Welt bieten, damit Sie es trügen. Bis Freitag abend also, Commendatore.« Pazzi überzeugte sich, daß der Doktor auch wirklich in seine Loge zurückkehrte, und blickte ihn erst wieder an, als sie auf der Theatertreppe zum Abschied noch einmal winkten. »Ich habe dir dieses Fleur du Ciel zum Geburtstag geschenkt«, sagte Pazzi. »Ja, und ich liebe es, Rinaldo«, antwortete Signora Pazzi. »Du hast einen wirklich erlesenen Geschmack.«

KAPITEL 34
    Impruneta ist eine alte Stadt in der Toskana, in der die Dachziegel für den Duomo hergestellt werden. Nachts kann man den Friedhof dort, dank der Ewigen Lichter auf den Gräbern, von den Villen auf den Hügelkuppen aus einigen Kilometer Entfernung sehen. Die Beleuchtung ist schwach, aber ausreichend, um Besuchern den Weg zwischen den Toten zu weisen. Will man die Grabinschriften lesen,

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