Hannibal
braucht man jedoch eine Taschenlampe. Rinaldo Pazzi traf fünf Minuten vor neun Uhr mit einem kleinen Blumenstrauß ein, den er auf irgendeines der Gräber legen wollte. Er ging langsam einen Schotterweg zwischen den Gräberreihen entlang. Er fühlte Carlos Anwesenheit, obwohl er ihn nicht sehen konnte. Carlos Stimme kam von der anderen Seite eines über kopfhohen Mausoleums. »Kennst du einen guten Blumenhändler in der Stadt?« Der Mann klang wie ein Sarde. Gut, dann wird er wohl wissen, was er tut. »Alle Blumenhändler sind Diebe«, antwortete Pazzi. Carlo kam rasch und ohne sich umzuschauen hinter dem Marmorbau hervor. Gedrungen und kraftstrotzend, wie er war, machte er auf Pazzi einen bäuerlichen Eindruck und wirkte sehr beweglich auf den Beinen. Er trug eine Weste aus Leder und ein Büschel Wildschweinborsten am Hut. Pazzi schätzte, daß er eine etwa acht Zentimeter größere Reichweite als Carlo hatte und daß sie ungefähr das gleiche wogen. Carlo fehlte ein Daumen. Pazzi brauchte keine fünf Minuten, um ihn in der Verbrecherkartei der Questura ausfindig zu machen. Beide Männer wurden von unten durch die Ewigen Lichter angeleuchtet. »Sein Haus verfügt über eine ausgezeichnete Alarmanlage«, sagte Pazzi. »Ich habe es mir angesehen. Du mußt ihn mir zeigen.« »Er muß morgen, Freitag abend, auf einer Versammlung sprechen. Schaffst du das?« »An mir soll es nicht liegen.« Carlo wollte den Polizisten ein wenig in die Ecke drängen und ihm zeigen, wer hier das Sagen hatte. »Wirst du mit ihm zusammen dort hingehen? Oder hast du Angst vor ihm? Du machst das, wofür man dich bezahlt. Du zeigst ihn mir.« »Reiß hier nicht das Maul auf. Ich tue das, wofür ich bezahlt werde, und du kehrst vor deiner eigenen Tür. Oder ich sorge dafür, daß du deine Rente in Volterra als Knaststricher verdienen kannst, du hast die Wahl.« Carlo war bei der Arbeit genauso unempfindlich gegen Beleidigungen wie gegen Schmerzensschreie. Er sah ein, daß er den Polizisten falsch eingeschätzt hatte, und hob darum beschwichtigend die Hände. »Erzähl mir, was ich wissen muß.« Carlo gesellte sich an Pazzis Seite, so als trauerten sie zusammen vor dem Mausoleum um einen Verstorbenen. Ein Liebespaar ging händchenhaltend auf dem Schotterweg an ihnen vorüber. Carlo nahm den Hut ab, und beide Männer standen mit gesenktem Kopf da. Pazzi legte die Blumen vor dem Eingang des Mausoleums ab. Carlos warmer Hut verströmte einen merkwürdigen Geruch, leicht ranzig, wie Wurst aus einem nicht ordentlich verschnittenen Tier. Pazzi blickte angewidert auf. »Er ist unglaublich schnell mit dem Messer. Bevorzugt es, von unten zu kommen.« »Hat er eine Pistole?« »Keine Ahnung, soweit ich weiß, hat er niemals eine benutzt.« »Ich will ihn nicht aus einem Auto zerren müssen. Ich will ihn auf offener Straße haben, mit möglichst wenig Menschen um ihn herum.« »Wie wirst du ihn aus dem Verkehr ziehen?« »Das laß meine Sorge sein.« Carlo steckte sich einen Hirschzahn in den Mund und kaute auf dem Knorpel herum, wobei er ihn von Zeit zu Zeit zwischen seinen gespitzten Lippen auftauchen ließ. »Das betrifft mich in gleicher Weise wie dich«, sagte Pazzi. »Wie also?« »Ich betäube ihn mit Plastikschrot, werfe ein Netz über ihn und verpasse ihm eine Spritze. Ich muß so schnell wie möglich an seine Zähne ran, falls er eine Giftplombe trägt.« »Er muß eine Vorlesung halten. Sie beginnt um sieben Uhr im Palazzo Vecchio. Sollte er am Freitag in der Capponi-Kapelle von Santa Croce arbeiten, wird er von dort aus zu Fuß zum Palazzo Vecchio gehen. Kennst du dich in Florenz aus?« »Gut genug. Kannst du mir eine Fahrerlaubnis für die Altstadt besorgen?« »Ja.« »Ich werde ihn unter keinen Umständen aus der Kirche holen«, sagte Carlo. Pazzi nickte. »Es ist ohnehin besser, wenn er zu seiner Vorlesung geht. Danach wird ihn für die nächsten beiden Wochen niemand vermissen. Ich habe einen Vorwand, um ihn nach der Versammlung zum Palazzo Capponi begleiten zu können.« »Sein Haus? Kommt überhaupt nicht in Frage. Das ist sein Territorium. Er kennt sich dort aus, ich nicht. Er wird wachsam sein, um sich blicken, wenn er vor der Tür steht. Nein, ich will ihn auf dem Bürgersteig. Ich brauche Platz.« »Gut, dann hör mir zu wir kommen also aus dem Vordereingang des Palazzo Vecchio den Seiteneingang zur Via dei Leoni werde ich absperren lassen. Wir gehen die Via Neri entlang und überqueren den Fluß über den Ponte alle Grazie.
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