Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hans Heinz Ewers

Hans Heinz Ewers

Titel: Hans Heinz Ewers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geschichten des Grauens
Vom Netzwerk:
kein Kind und allein hier draußen durch all die Jahre. – Die Legion – das war doch das einzige, das mir Deutschland wiedergab, das mir den Hellen Strom deutsch machte, trotz der Trikolore.
    Ich weiß, daß die anständigen Bürger im Reich die Legion den letzten Abschaum und Auswurf der Nation nennen. Zuchthausfutter, nur wert, daß es zugrunde gehe. Aber dieser Abschaum, den Deutschland verächtlich an meine Ufer spie, dieser Auswurf, zu nichts mehr gut in dem schön geregelten Heimatherd, trug Schlacken so seltener Farbe, daß mein Herz lachte vor Freude. Schlacken! Nicht einen Heller sind sie wert für den Juwelier, der schwere Brillanten in dicken Ringen an Metzgermeister verkauft. Aber das Kind sammelt sie am Strand. Das Kind und alte Narren wie ich, und verrückte Dichter wie Sie, die beides sind: Kinder und Narren! Für uns haben diese Schlacken einen Wert, und wir wollen gar nicht, daß sie zugrunde gehen.
    Aber sie gehen zugrunde. Ganz sicher, eines um das andere. – Und die Art, wie sie zugrunde gehen, jämmerlich, elend, qualvoll, das ist es, was nicht zu ertragen ist. Eine Mutter mag ihre Kinder sterben sehen, zwei oder drei. Sie sitzt da, die Hände im Schoß, und kann ihnen nicht helfen, kann nicht. Aber es geht vorbei, und einmal wird sie den Schmerz verwinden. Ich aber – der Vater der Legion – sah tausend Kinder sterben, jeden Monat, jede Woche fast starben sie weg. Und ich konnte nicht helfen, keine Schlacken mehr sammeln: Ich kann meine Kinder nicht mehr sterben sehen.
    Und wie starben sie. Damals waren die Franzosen noch nicht so tief im Land wie heute. Nur drei Tagesreisen weit den Roten Fluß hinauf befand sich die letzte Station, in Edgardhafen selbst und rund herum lagen gefährdete Posten. Ruhr und Typhus waren selbstverständlich in diesen feuchten Lagern, daneben hier und da die Tropenanämie. Sie kennen diese Krankheit, wissen, wie man an ihr stirbt. Ein ganz kleines leichtes Fieber, das kaum den Puls schneller schlagen macht, Tag und Nacht. Man will nicht mehr essen, man wird launenhaft wie eine schöne Frau. Nur schlafen, schlafen will man – bis schließlich langsam das Ende naht, das man gerne kommen sieht, um endlich einmal ausschlafen zu können. Die an Anämie starben, zogen das große Los, die und die anderen, die im Kampf fielen. Gott, es ist gewiß kein Vergnügen, an einem vergifteten Pfeil zu sterben, aber es geht doch schnell, in wenigen Stunden. Aber wie viele starben so – kaum einer von tausend. Und das Glück, das sie hatten, mußten die anderen bitter genug bezahlen, die gelegentlich lebend den gelben Schweinehunden in die Hände fielen. Da war Karl Mattis, desertierter Deutzer Kürassier, Korporal der ersten Kompagnie, ein Prachtjunge, der vor keiner tollsten Gefahr zurückschreckte. Als die Station Gambetta von tausendfacher Übermacht angegriffen wurde, übernahm er es, mit zwei anderen, sich durchzuschleichen und die Nachricht nach Edgardhafen zu bringen. In der Nacht wurden sie angegriffen, einer wurde getötet. Mattis erhielt einen Schuß ins Knie. Da schickte er seinen Kameraden weiter und deckte gegen dreihundert Schwarzflaggen zwei Stunden lang dessen Flucht. Endlich fingen sie ihn, schnürten ihm Hände und Beine zusammen und banden ihn an einen Baumstamm, dort drüben an dem seichten Ufer des Stroms. Drei Tage hat er da gelegen, bis ihn die Krokodile fraßen, langsam, Stück für Stück, und doch mitleidiger als ihre zweibeinigen Landsleute. Ein halbes Jahr später fingen sie Hendrik Oldenkott aus Maastricht, einen Hünen von sieben Fuß, dessen unglaubliche Kraft sein Verderben wurde: Er hatte im schweren Rausch mit der blanken Faust den eigenen Bruder erschlagen. Die Legion konnte ihn vor dem Zuchthaus retten, aber nicht vor den Richtern, die er hier fand. Unten im Garten haben wir ihn gefunden, noch lebend: Sie hatten ihm den Leib aufgeschnitten, die Eingeweide herausgenommen, die Bauchhöhle mit Ratten angefüllt und kunstgerecht wieder zugenäht. Dem Leutnant Heudelimont und zwei Gemeinen stachen sie mit glühenden Nadeln die Augen aus, halb verhungert fand man sie im Wald; dem Sergeanten Jakob Bieberich hackten sie die Füße ab und ließen ihn dann Mazeppa spielen auf einem toten Krokodil. Bei Edgardhafen fischten wir ihn aus dem Flusse, drei Wochen noch hat sich der arme Kerl im Spital quälen müssen, ehe er starb.
    Ist Ihnen die Liste lang genug? Ich kann sie fortsetzen, Namen an Namen reihen. Man weint nicht mehr hier draußen – aber

Weitere Kostenlose Bücher