Hans Heinz Ewers
andere schlugen mit dem Schwanz oder reckten sich hoch auf den Vorderbeinen. Einzelne waren stilisiert, die meisten aber natürlich dargestellt; alle Bilder zeigten eine außerordentliche Beobachtung der gefährlichen Panzerechsen.
Wieder glitten, geknipst von den gelben Krallen des Alten, neue Spielmarken zu mir hinüber. „Der Ort der Handlung“, sagte er. Eine Marke zeigte ein großes Steinhaus, augenscheinlich das Heim des Künstlers; auf anderen waren Zimmer dargestellt und Ausschnitte eines Gartens. Die letzten zeigten Ausblicke auf den Hellen Strom und den Roten Fluß, eine davon von Widerholds Veranda aus gesehen. Jede einzelne der wundervollen Platten rief mein helles Entzücken hervor, ich nahm ordentlich Partei für den Künstler und gegen den Seekadetten. Ich streckte die Hand aus, um noch mehr Marken zu nehmen.
„Nein“, sagte der Alte, „warten Sie. Sie sollen alles der Reihe nach sehen, hübsch wie es sich gehört. – Also, Hong-Dok war mein Freund, wie es sein Vater gewesen war. Beide haben für mich gearbeitet durch alle die Jahre hindurch, ich war wohl ihr einziger Kunde. Als sie reich wurden, pflegten sie doch weiter ihre Kunst, nur daß sie jetzt nicht mehr Geld nahmen. Der Vater ging sogar so weit, daß er darauf bestand, mir bis auf den letzten Heller das Geld zurückzugeben, das ich ihm im Laufe der Zeit bezahlt hatte, und ich mußte es nehmen, wollte ich ihn nicht beleidigen. So habe ich all die Schränke voll, die Sie so gerne bewundern, in der Tat umsonst erhalten.
Durch mich lernte der Seekadett Hong-Dok kennen, ich nahm ihn selbst einmal mit in sein Haus. – Ich weiß, was Sie sagen wollen: Der Seekadett war ein Weiberheld und Ot-Chen schon wert, daß man sie begehrte. – Nicht wahr? Und ich hätte mir denken können, daß Hong-Dok da nicht ruhig zusehen würde?
Nein, nein, ich konnte gar nichts voraussehen! Sie hätten das vielleicht gedacht, aber nicht ich, der ich Hong-Dok so gut kannte. Als das alles geschehen war und Hong-Dok es mir erzählte, hier oben auf der Veranda – o viel ruhiger und stiller, als ich jetzt spreche – , da schien es mir noch immer so unmöglich, daß ich ihm kaum glauben mochte. Bis dann, mitten auf dem Strom, ein Beweis anschwamm, der keinen Zweifel mehr duldete. Ich habe oft über die Sache nachgedacht und glaube, einige der seltsamen Gründe zu kennen, die Hong-Dok zu seiner Tat trieben. Einige – wer kann ganz in einem Hirn lesen, das durch tausend Generationen sich forterbte, bis zum Überfluß gesättigt von Macht, Kunst und der alles durchdringenden Weisheit des Opiums?
Nein, nein, ich konnte gar nichts voraussehen. Wenn mich damals einer gefragt hätte: ,Was wird Hong-Dok tun, wenn ihm der Seekadett Ot-Chen verführt, oder eine andere seiner neun Frauen?’ – so würde ich gewiß geantwortet haben: ,Er wird nicht einmal aufblicken von seiner Arbeit! Oder aber, wenn er gut gelaunt ist, wird er Ot-Chen dem Seekadetten schenken.’ Das mußte der Hong-Dok tun, den ich kannte, das und nichts anderes. Ho-Nam, eine andere seiner Frauen, erwischte er einmal mit einem chinesischen Dolmetscher: Er hielt es unter seiner Würde, den beiden nur ein Wort zu sagen. Ein andermal war es Ot-Chen selbst, die ihn betrog – Sie sehen also, daß nicht etwa eine besondere Vorliebe für gerade diese Frau sein Tun leitete. Die Mandelaugen eines meiner indischen Boys, der mit mir nach Fort Valmy geritten war, hatten es der kleinen Ot-Chen angetan, und wenn die beiden auch kein Wort miteinander sprechen konnten, waren sie doch bald einig. Hong-Dok fand sie in seinem Garten; aber er rührte weder die Hand gegen seine Frau noch duldete er, daß ich den Boy bestrafte. Das alles berührte ihn so wenig, wie irgendein Hund, der ihn anbellte auf der Straße – kaum wendet man den Kopf zur Seite.
Es erscheint völlig ausgeschlossen, daß ein Mann von der unerschütterlichen philosophischen Ruhe Hong-Doks auch nur einen Augenblick seine Besinnung verloren und in einer plötzlichen Gefühlsaufwallung gehandelt hätte. Zum Überfluß hat die strenge Untersuchung, die wir nach seiner Flucht mit seinen Frauen und seiner Dienerschaft anstellten, durchaus festgestellt, daß Hong-Dok seine Handlung bis ins kleinste sorgsam erwogen und zur Ausführung gebracht hat. Demnach ging der Seekadett während dreier Monate in dem Steinhaus am Fluß aus und ein und unterhielt während dieser ganzen Zeit seine Beziehungen zu Ot-Chen, von denen Hong-Dok nach wenigen Wochen schon durch
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