Hans Heinz Ewers
Dewla, hol den Kasten Hong-Doks und die Spielmarken.“
Der Boy brachte den Kasten, stellte ihn auf einen Wink seines Herrn vor mich hin, drückte auf eine Feder, daß der Deckel aufsprang. Es war ein großer Kasten aus Sandelholz, dessen feiner Duft im Augenblick die Luft erfüllte. Das Holz war eingelegt mit kleinsten Blättchen Perlmutter und Elfenbein, die Seiten zeigten in dichtem Blattwerk Elefanten, Krokodile und Tiger. Aber der Deckel trug eine Darstellung der Kreuzigung; ein alter Druck mochte als Vorlage gedient haben. Nur war der Heiland bartlos, hatte ein rundes, fast volles Gesicht, das doch einen Ausdruck entsetzlichster Qualen hatte. Der Stich an der linken Seite fehlte, auch das Kreuz; dieser Christus schien auf einem flachen Brett gekreuzigt. Die Tafel zu seinen Häupten zeigte nicht die Buchstaben: I. N. R. I. sondern die anderen: K. V. K. S. II. C. L. E.
Diese Darstellung des Gekreuzigten war von einer unheimlichen Natürlichkeit; sie erinnerte mich unwillkürlich an Matthias Grunewalds Bild, obwohl sie nicht das geringste mit dem gemeinsam hatte. Die innerste Auffassung war vielmehr eine grundverschiedene: Diesem Künstler schien nicht das ungeheuere Mitgefühl und Miterleben die Kraft zu der bis ins Äußerste gehenden Wahrscheinlichkeit des Grauenhaften gegeben zu haben, sondern vielmehr ein leidenschaftlicher Haß, ein wollüstiges Sich-Versenken in die Qualen des Dulders.
Die Arbeit war mit unsäglicher Mühe gefertigt: das herrliche Meisterwerk eines großen Künstlers.
Der Alte sah meine Begeisterung. „Es gehört Ihnen“, sagte er ruhig.
Ich faßte den Kasten mit beiden Händen. „Das wollen Sie mir schenken –“
Er lachte. „Schenken – nein! Aber ich habe Ihnen meine Geschichte verkauft, und der Kasten da – ist meine Geschichte.“
Ich wühlte in den Spielmarken. Runde, dreieckige und rechteckige Perlmutterplatten von einem tiefen metallischen Glänze. Jede einzelne trug auf jeder Seite ein kleines Bild, ausgeschnitten in den großen, ziseliert in den feinen Linien.
„Wollen Sie mir den Kommentar geben?“ fragte ich.
„Da spielen Sie ja mit dem Kommentar! Wenn Sie die Marken hübsch ordnen und nach der Reihe legen, so können Sie meine Geschichte lesen wie in einem Buch. Aber nun klappen Sie den Deckel zu und hören Sie. – Schenk ein, Dewla.“
Der Boy füllte die Kelche, und wir tranken. Er stopfte die kurze Pfeife seines Herrn, reichte sie ihm und brannte sie an.
Der Alte zog und stieß den scharfen Rauch weit von sich. Dann lehnte er sich zurück und winkte den Boys, die Fächer zu nehmen.
„Sehen Sie“, begann er, „das ist schon richtig, was Ihnen Hauptmann Dufresnes erzählt hat, oder wer es sonst war. Dies Haus hat es wohl verdient, der Bungalow der Legion genannt zu werden. Hier tranken die Offiziere – und die Leute unten im Garten; oft genug lud ich sie auch auf die Veranda ein. Sie wissen, daß die Franzosen unsre lächerlichen Standesunterschiede nicht kennen, außer Dienst ist jeder Gemeine so gut wie sein General. Und das gilt erst recht in den Kolonien, und noch mehr in der Legion, wo mancher Vorgesetzte ein Bauer und mancher Gemeine ein Gentleman ist. Ich ging hinunter, trank mit den Mannschaften im Garten, und wer mir gefiel, den ließ ich nach oben kommen. Glauben Sie mir, ich habe manch seltsamen Kauz da getroffen, manch ausgemachten Teufel und manches Kind, das sich nach Mutters schützendem Rock sehnte. Das war mein großes Museum, die Legion, mein dickes Buch, das mir immer neue Märchen und Abenteuer erzählte.
Denn die Jungens erzählten mir, sie waren froh, wenn sie mich allein erwischten, um mir ihr Herz auszuschütten. Sehen Sie, es ist wirklich wahr, daß mich die Legionäre liebten, nicht nur wegen des Weines und der paar Tage Ruhe, die sie hier hatten. Sie kennen die Leute, Sie wissen, daß ein jeder das, was er sieht, als sein gutes Eigentum betrachtet; daß kein Offizier und kein Gemeiner das geringste liegenlassen darf, ohne daß es im Handumdrehen verschwunden ist. Nun gut, in über zwanzig Jahren hat nur ein einziges Mal ein Legionär etwas bei mir gestohlen, und seine Kameraden hätten ihn totgeschlagen, wenn ich nicht selbst für ihn gebeten hätte. Sie glauben das nicht? – Ich würde es auch nicht glauben, wenn mir’s ein anderer erzählte, und doch ist’s buchstäblich wahr. – Die Leute liebten mich, und sie taten das, weil sie wohl fühlten, daß ich sie liebte. Wie das kam? Herrgott, so mit der Zeit. Keine Frau,
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