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Hans Heinz Ewers

Hans Heinz Ewers

Titel: Hans Heinz Ewers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geschichten des Grauens
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er in Edgardhafen und kam oft genug zu mir her; ein mächtiges Loch hat er in meinen Weinkeller getrunken. Der sagte nicht „Danke“ beim vierten Glase schon – wie Sie es machen! So trinken Sie doch. – Bana, schenk ein!
    Dann kam er nach Fort Valmy, das war damals die äußerste Station. Vier Tage fährt man mit der Dschunke hinauf, kriecht durch die ewigen Windungen des Roten Flusses. Aber in der Luftlinie ist es gar nicht so weit, auf meiner australischen Stute will ich in achtzehn Stunden hinreiten. Nun kam er selten genug hierher; aber ich sah ihn doch bisweilen, da ich manchmal hinritt, einen anderen Freund zu besuchen. Das war Hong-Dok, der Verfertiger dieses Kastens.
    Sie lächeln? Hong-Dok – mein Freund? Aber er war es. Glauben Sie mir, Sie finden hier Leute, die Ihresgleichen sind, wenige, ganz wenige freilich. Aber er war einer, Hong-Dok. War mehr vielleicht.
    Fort Valmy – wir wollen einmal hinreiten; jetzt liegen Marsouins da, nicht mehr Legionäre. Es ist eine uralte, unglaublich schmutzige Stadt; die kleine Feste der Franzosen überragt sie auf einem Hügel am Flusse. Enge, kotige Gassen, jämmerliche, elende Häuser. Aber das ist die Stadt von heute. Früher, vor manchen Jahrhunderten, muß es einmal eine große, schöne Stadt gewesen sein, bis die Schwarzflaggen von Norden kamen und es zerstörten, diese verdammten Schwarzflaggen, die uns immer noch so viel zu schaffen machen. Der Trümmerhaufen rings um die Stadt ist sechsmal so groß wie diese selbst; wer heute da bauen will, hat die Steine umsonst. Aber mitten in diesen jämmerlichen Ruinen stand, dicht am Fluß, ein großes altes Gebäude, ein Palast beinahe: das Haus Hong-Doks. Es stand da seit undenklicher Zeit, auch die Schwarzflaggen haben es verschont aus irgendwelcher religiösen Scheu.
    Dort wohnten die Herrscher dieses Landes, die Vorfahren Hong-Doks. Hundert Ahnen hat er und noch hundert und wieder hundert, mehr als alle Herrscherhäuser Europas zusammen – doch er kannte sie alle. Wußte ihre Namen, wußte, was sie taten. Fürsten und Kaiser waren sie, aber Hong-Dok war Holzschnitzer wie sein Vater und sein Großvater und Urgroßvater. Denn die Schwarzflaggen ließen wohl das Haus stehen, aber nichts sonst, und die Herrscher wurden so bettelarm wie ihre letzten Untertanen. So verfiel das alte Steinhaus unter den rotblühenden Hibiskusbüschen.
    Bis es wieder ein neuer Glanz erhellte, als die Franzosen kamen. Denn Hong-Doks Vater hatte die Geschichte seines Landes nicht vergessen, wie alle die, die seine Untertanen sein sollten. Und da die Weißen Besitz ergriffen von diesem Land, war er der erste, der sie begrüßte am Roten Flusse. Er hat den Franzosen außerordentliche Dienste geleistet, und zum Dank gab man ihm Land und Vieh, setzte ihm einen Sold aus und machte ihn zu einer Art Zivilpräfekt über die Stadt. Das war das letzte kleine Glück des uralten Hauses – heute liegt es in Trümmern wie seine Umgebung. Die Legionäre haben es zerschlagen und keinen Stein auf dem anderen gelassen; sie haben an ihm den Seekadetten gerächt, da ihnen der Mörder entflohen war.
    Hong-Dok, mein guter Freund, der war sein Mörder. Hier ist sein Bild.“
    Der Alte reichte mir wieder eine Spielmarke. Sie trug auf der einen Seite in lateinischen Lettern den Namen Hong-Doks, auf der anderen Seite das Bild eines Eingeborenen der vornehmen Kaste in Landestracht. Aber die Ausführung war flüchtig und ungenau, nicht entfernt zu vergleichen mit der feinen Arbeit der ersten Marke.
    Edgard Widerhold las auf meinem Gesicht. „Ja, sie ist nichts wert, diese Marke, die einzige unter allen. Seltsam, als ob Hong-Dok es verschmäht hätte, seiner eigenen Person auch nur das geringste Interesse zuzuwenden. Aber sehen Sie sich dieses kleine Kunstwerk an.“
    Er knipste mir mit der Kralle seines Zeigefingers eine andere Perlmutterplatte zu. Sie zeigte das Bild einer jungen Frau, die auch für unser Gefühl schön war; sie stand vor einem Hibiskusbusch, die linke Hand hielt einen kleinen Fächer. Es war eine Meisterarbeit von unerhörter Vollendung. Wieder trug die Rückseite den Namen des Modells: Ot-Chen.
    „Das ist die dritte Figur des Dramas von Fort Valmy“, fuhr der Alte fort. „Hier haben Sie einige handelnde Nebenfiguren, Statisten.“ Er schob mir ein paar Dutzend Marken hinüber, sie zeigten auf beiden Seiten große Krokodile. In allen Stellungen: Manche schwammen im Fluß, andere schliefen am Ufer, einige rissen das Maul weit auf, wieder

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