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Hans Heinz Ewers

Hans Heinz Ewers

Titel: Hans Heinz Ewers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geschichten des Grauens
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kniete nieder am Rande des Grabes, faltete die Hände und schloß die Augen. „Heiliger Gott im Himmel, ich danke dir, daß du mich noch einmal dieses Bild schauen ließest.“
    Jan Olieslagers warf das Tuch wieder über die Leiche. Er stieg aus dem Grabe und legte seine Hände auf des Freundes Schultern. „Komm, Vincenz, nun wollen wir ins Schloß gehen.“
    Der Graf schüttelte den Kopf. „Geh du, wenn du willst. – Ich muß sie beisetzen.“
    Da drückte der Vlame mit aller Kraft seinen Arm. „So erwache doch endlich, Vincenz! Begreifst du denn noch immer nicht? – Wie willst du das denn machen – – sie beisetzen?“
    Der Graf starrte ihn verständnislos an, da fuhr der andere fort: „Da steht deine Urne – und ihr Hals ist ziemlich schmal. Und da liegt die Gräfin – –“
    Der Graf erblaßte. „Ich muß sie beisetzen“, murmelte er tonlos.
    „Aber du kannst sie nicht beisetzen.“
    „Ich habe es geschworen.“ Ganz dumpf klangen die Worte: „Ich habe es geschworen. Ich muß das, ,was von ihr übrig ist, heute vor Sonnenuntergang in der Urne in die Kapelle bringen’. So steht es in ihrem Testament. Ich habe es auf das Kruzifix geschworen.“
    „Aber du kannst es nicht, zum Teufel, du kannst es nicht.“
    „Ich muß es tun, ich habe zwei heilige Eide geleistet.“
    Da platzte der Vlame heraus: „Und wenn du hunderttausend Eide geschworen hättest, du kannst es nicht tun. Wenn man ihren Leib nicht zerschneiden will in kleine Fetzen – –“
    Der Graf schrie, seine Finger krampften sich um den Arm des Freundes: „Was – sagst du da?“ Begütigend, wie um abzuwehren, daß der Gedanke seinem Hirne entsprungen, antwortete der andere: „Nun ja, anders ist es doch nicht möglich. – Und das war ja ihre Absicht – – das wollte sie doch mit ihrem – letzten Willen.“ Er legte den Arm um des Freundes Schultern. „Ich bitte dich, Vincenz, komm nun.“ Wie ein Trunkener ließ sich der Graf führen, aber nur ein paar Schritte weit.
    Dann blieb er stehen, machte sich los. Kaum lösten sich die Zähne, so leise sprach er. „Es war ihre Absicht – und man muß sie ausführen; ich habe es geschworen.“ Und der Vlame fühlte wohl, daß er nun schweigen müsse, daß jedes Wort hier nutzlos sei.
    Der Graf wandte sich, sein Blick fiel auf die rote Sonne, die tief im Westen lag. „Vor Sonnenuntergang“, rief er, „vor Sonnenuntergang! Es drängt.“ Er ging auf den Gärtner zu. „Hast du ein Messer?“ Der Alte nahm ein langes Messer aus der Tasche. „Scharf?“
    „Ja, Herr Graf.“
    „So geh und zerschneide sie.“
    Der Alte sah ihn entsetzt an. Er zauderte, dann aber sagte er: „Nein, Herr Graf, ich kann es nicht.“
    Der Graf wandte sich an die beiden Burschen. „So tut ihr es.“ Aber sie blieben stehen, senkten die Augen und rührten sich nicht.
    „Ich befehle euch, es zu tun, hört ihr nicht?“ Sie schwiegen. „Ich jage euch heute noch aus dem Dienste, wenn ihr nicht gehorcht.“
    Da sagte der Alte: „Herr, verzeiht, ich kann es nicht. Vierundfünfzig Jahre bin ich im Schlosse und –“
    Der Graf schnitt ihm das Wort ab: „Ich gebe tausend Franken dem, der es tut.“
    Sie rührten sich nicht.
    „Zehntausend Franken.“
    Keine Antwort.
    „Zwanzigtausend.“
    Der jüngste der Burschen, der noch im Grabe stand, blickte zum Grafen auf.
    „Wollt Ihr auch alle Verantwortung übernehmen, Herr?“
    „Ja!“
    „Beim Richter?“
    „Ja!“
    „Und beim Pfarrer?“
    „Ja, ja!“
    „Gib mir das Messer, Alter, und reich mir die Axt her! Ich tu’s.“
    Er nahm das Messer und riß das Tuch fort. Er beugte sich nieder und hob den Arm. Dann aber sprang er auf, warf das Messer in den Sand. „Nein, nein!“ schrie er. „Sie lacht mich aus.“ Mit einem Sprung war er hinaus aus der Grube und lief, lief mit langen Schritten in die Büsche.
    Der Graf wandte sich an seinen Freund: „Glaubst du, daß du sie mehr liebtest als ich?“
    „Nein, ganz gewiß nicht.“
    „Dann wirst du es leichter können als ich.“
    Aber der Vlame zuckte die Achseln. „Ich bin kein Metzger. – – Und außerdem – – war das wohl auch nicht ihre Absicht.“
    Von des Grafen Mundwinkel tropfte der Speichel. Und doch waren seine Lippen trocken, fahl, bleicher als das Leintuch. Es klang wie die letzte Frage eines Verurteilten, bittend, flehentlich: „Ihre Absicht war – daß ich – ich selbst – – –?“
    Es kam keine Antwort. Er sah nach Westen. Immer tiefer sank die blutrote Sonne. „Ich muß, ich

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