Hans Heinz Ewers
hätte ich um jeden ein paar Tränen vergossen, sie würden ein Faß füllen, größer als eines in meinem Keller. Und die Geschichte da, die der Spielkasten birgt, ist nur das allerletzte Tränentröpflein, das das randvolle Faß zum Überlaufen brachte.“
Der Alte zog den Kasten zu sich herüber und öffnete ihn. Er suchte mit den langen Nägeln in den Spielmarken, nahm eine und reichte sie mir. „Da, sehen Sie, das ist der Held!“
Die runde Perlmuttermarke zeigte das Bild eines Legionärs in seiner Uniform. Das volle Gesicht des Soldaten hatte eine frappierende Ähnlichkeit mit dem Christusbild des Deckels; die Rückseite der Marke trug dieselbe Inschrift, die sich zu Häupten des Gekreuzigten befand: K. V. K. S. II. C. L. E.
Ich las: „K. von K. Soldat zweiter Classe der Légion Etrangère.“
„Richtig!“ sagte der Alte. „Das ist er! Karl von Kö-“ Er unterbrach sich: „Nein, lassen wir den Namen. Übrigens können Sie ihn in einer alten Marinerangliste leicht finden. Er war Seekadett, ehe er hierher kam. Er mußte den Dienst quittieren und das Vaterland zugleich; ich glaube, es war der alberne Paragraph 132 des Strafgesetzbuches, der ihm das Genick brach: Amtsanmaßung. Der blutjunge Bengel hatte mit einem ihm befreundeten Studenten eine sehr ausgedehnte Bierreise gemacht, dabei einen wackeren Schutzmann getroffen und unter den Tisch getrunken. Man knobelte, wer nun Schutzmann spielen dürfe – der Seekadett gewann, zog dem Trunkenen die Uniform aus und sich selbst an. Dann stürmte er auf die stillen Gassen und verhaftete drauflos, was noch so herumschlich im nächtlichen Kiel. Inzwischen war in der Schenke der biedere Beamte mit Hilfe von vielen über ihn entleerten Kannen eiskalten Wassers wieder halbwegs wach geworden; er zog der Not gehorchend die Seemannsuniform an und versuchte sich still nach Hause zu verdrücken. Was ihm freilich gründlich mißlang: Der jüngste Jünger der christlichen Seefahrt erwischte ihn, verhaftete ihn und schleppte ihn mit großem Hallo auf die Polizeiwache, wo sich der in die Enge getriebene Schutzmann mittels der im Rock steckenden Papiere auswies als – der Seekadett. Sie mögen sich, Doktor, den weiteren Verlauf dieser schönen Geschichte von dem Seekadetten, der sich selber verhaftete, allein ausmalen – die gute Stadt Kiel lachte drei Tage lang darüber. Das Ende war ein recht betrübliches: Der Seekadett erhielt eine böse Anklage wegen Amtsanmaßung und durfte seine hübsche Uniform für immer ausziehn. Er wartete die Verhandlung nicht erst ab, floh weit weg vor dem glorreichen Paragraphen 132 des Strafgesetzbuches. Kein Paragraph in dem Buch ist zu dumm, um nicht für die Legion zu werben.
Ach, ein Kerl wie Samt und Seide war er, der Seekadett! Alle nannten ihn so, Kameraden und Vorgesetzte. Ein desperater Junge, der wußte, daß sein Leben verspielt war, und nun einen Sport daraus machte, immer „va banque“ zu spielen. In Algier hat er allein einen Korsar verteidigt; als alle Chargen gefallen waren, nahm er das Kommando über zehn Legionäre und ein paar Dutzend Goumiers, hielt das Loch, bis nach Wochen Ersatz kam. Damals erhielt er zum erstenmal die Tressen; dreimal bekam er sie und verlor sie bald darauf wieder. Das ist so üblich in der Legion: heute Sergeant, morgen wieder Gemeiner. So lange sie draußen sind, geht’s gut, aber diese ungebundene Freiheit kann keine Stadtluft vertragen, irgendein wüster Streich ist im Augenblick ausgefressen. Der Seekadett war es auch, der im Roten Meer dem General Barry nachsprang, als er auf der Gangway ausglitt und ins Wasser fiel. Unter dem Jubel der Mannschaft fischte er ihn heraus, unbekümmert um die riesigen Haifische –
Seine Fehler? Er trank – – wie alle Legionäre. Und wie alle war er hinter den Weibern her und vergaß dabei manchmal, erst hübsch um Erlaubnis zu fragen. Und dann – nun ja, er behandelte die Eingeborenen noch ein gut Teil mehr en canailles als durchaus notwendig ist. Aber sonst ein prächtiger Junge, dem kein Apfel zu hoch hing. Gescheit war er; in ein paar Monaten sprach er besser das Kauderwelsch der gelben Bande, als ich in all der Zeit, die ich nun schon auf meinem Bungalow sitze. Und die Manieren, die er in der Kinderstube gelernt, hatte er selbst in der Legion nicht vergessen. Seine Kameraden meinten, ich habe einen Narren an ihm gefressen. Na, so schlimm war es nicht, aber gut leiden mochte ich ihn, und er stand mir auch wohl näher als die anderen. Ein Jahr lang war
Weitere Kostenlose Bücher