Hans Heinz Ewers
als Andenken! – Ich will nichts, ich sagte dir’s ja! Nicht einmal dein Geheimnis – wenn du’s nicht von selber sagst. Vergiß nicht, was du tun mußt – und viel Glück auf morgen. Komm zu mir ins Laboratorium und erzähl mir.“
Dann ging er fort mit langen Schritten.
Spät genug kam Stephe zu ihm hinauf. Er war bleich und zitterte, aber ein zufriedenes Grinsen lag über seinem Gesicht. „Frei!“ rief er.
Der Vlame beglückwünschte ihn. „Setz dich, mein Junge! Und nun wollen wir das Gift möglichst schnell wieder herausbekommen aus dem Leib – oder doch unschädlich machen!“ Er hatte keine Ahnung, ob das nötig sei, oder was er zu diesem Zweck tun solle. Aber er dachte sich: Alkohol kann gewiß nichts schaden. Und vielleicht auch wird’s ihn gesprächig machen.
So mischte er Whisky. Stephe trank, schluckte ein Glas nach dem andern wie Medizin. Aber er sprach kein Wort. Der Vlame war enttäuscht genug, doch ließ er sich’s nicht merken. Er redete ihm zu, wie einer kranken Kuh, schenkte ihm immer von neuem ein; zwang ihn, erstaunliche Mengen hinunterzugießen. Stephe trank. Als er ging, bedankte er sich. Seine Zunge lallte, und sein Leib torkelte, seine Beine versagten den Dienst. Aber nur sein Leib war betrunken; was er sagte, war ganz vernünftig. Olieslagers hörte ihn auf der Treppe hinfallen, kam ihm nach und richtete ihn auf. Dann faßte er ihn fest um den Leib und schleppte ihn mühsam nach Hause.
Als sie am Friedhofstor waren, riß sich Stephe zusammen. „Danke, Herr“, sagte er.
Nie Jas Stephe ein Buch, nie eine Zeitung. Alles, was außerhalb des Friedhofs zuging, war ihm vollständig gleichgültig. Er wußte: Irgendwo in der Welt war Krieg. Wer Krieg führte und warum und wozu, das interessierte ihn nicht.
Doch hatte er von nun an für alles, was seinen Freund anging, ein gewisses Interesse, das schließlich so weit ging, daß er sogar Fragen stellte. Was er in der Stadt treibe? Warum er hier sei? Ob er viel Geld verdiene?
Olieslagers gab ihm Bescheid. Klar, einfach, so daß Stephe es bald begriff. Sicher fühlte er, daß der nie ihn verraten würde.
Aber es war bei dem Vlamen nicht etwa ein Wunsch, sich auszusprechen. Es war etwas anderes. Stephe war besessen von einem Gedanken – und jeden Tag mehr kitzelte es Jan Olieslagers, den herauszufinden. Es war, als ob er selbst von dieser Sucht besessen sei. Er fühlte, daß ihm sein Fragen nichts helfen würde, so hütete er sich wohl, diese verrückte Lust zu zeigen, die dennoch das einzige war, das ihn tagtäglich zum Friedhof trieb. Nie stellte er eine Frage, nie machte er eine leiseste Anspielung. Als aber der Totengräber ihn fragte, gab er ihm genau Antwort, gab sich ihm ganz in die Hand. „Sieh, Stephe“, sagte er, „das ist mein Geheimnis. Ich sag’ dir’s, weil du mein Freund bist und weil ich dir traue.“
Stephe nickte. Er begriff recht gut: Wenn man einen Freund hat, muß man ihm vertrauen. Aber er sagte dennoch nicht ein Wort.
Dann kam der Tag, da es aus war mit der Herrlichkeit im Laboratorium. Der Direktor hatte den Vlamen rufen lassen und ihm gesagt, daß er nun endlich Resultate sehen müsse. Nichts sei bisher geschehn, rein gar nichts! Er stellte ihm das glatte Ultimatum: Entweder müsse er in der nächsten Woche beweisen, daß er arbeiten wolle – daß er das könne, daran zweifelte der Direktor auch jetzt keinen Augenblick. Oder aber er werde ihn verhaften lassen. Er habe sich genau erkundigt in Neuyork, wisse gut, was er getrieben habe in den letzten Jahren.
Also, er möge sich entscheiden. Und er möge bedenken, daß die Fabrik noch eine neue Anzeige gegen ihn machen würde: daß er nämlich sich hier eingeschmuggelt habe, um chemischmilitärische Geheimnisse herauszubekommen. Das sei schon nötig – irgendwie müsse man ja seinen Aufenthalt erklären.
Jan Olieslagers, eigentlich nur verwundert, daß sich diese Unterredung nicht schon vor Monaten abspielte, blieb sehr gelassen.
„Sie haben recht, Herr!“ sagte er. „Und da ich nur wählen kann zwischen dem Zuchthaus und der Möglichkeit, Ihnen etwas Positives zu leisten, so müßte ich ein Narr sein, wenn ich das Zuchthaus vorziehn würde. Nur: Eine Woche ist zuwenig. Ich benötige vier Wochen.“
„Ich gebe Ihnen zwei Wochen, Herr, und nicht einen Tag länger“, sagte der Direktor. „Guten Morgen!“
Noch vierzehn Tage also – der Vlame war ganz zufrieden damit. Nur Zeit – und jeder Tag war ein Gewinn. Er schloß sich ein in sein
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