Hans Heinz Ewers
und in ebenso vielen Farmen, von Vancouver bis San Augustin und von Los Angeles bis Halifax. Nirgends hatte er es lange ausgehalten; war dazwischen immer wieder herumgezogen als Streikbrecher und als Landstreicher. Jetzt aber, seit über zwei Jahren schon, hatte er seinen Beruf entdeckt: Dieser Job in Andernach gefiel ihm gut, hier würde er bleiben sein Leben lang.
Wie Stephe das sagte, flackerten kleine Flämmchen in seinen Augen, und über die Lippen kroch mühsam ein Lächeln. Dann saß er wieder und sann und sprach kein Wort.
Olieslagers begriff: Hier war es. War das schwere siebenmal vergitterte Tor – und dahinter kauerte das seltsame Tier.
Dann kam die Musterung. Alle Männer mußten sich melden zum Militär, von achtzehn bis zu fünfundvierzig Jahren.
Stephe wurde unruhig – und diese Unruhe steigerte sich mit jedem Tag. „Warum willst du nicht Soldat werden?“ fragte Olieslagers. Stephe schüttelte den Kopf, sehr entschlossen.
„Nein“, brummte er, „nein.“
Und ein andermal sagte er: „Das ist es – ich will nicht weg von hier.“
Sonntag morgens klopfte er an die Tür des Laboratoriums, schloß sie sorgfältig, überzeugte sich, daß der Vlame allein war. Dann kam er heraus mit seinem Anliegen. Am Mittwoch müsse er sich stellen. Da möge der Doktor ihm was geben, daß er krank erscheine. Untauglich. Er wolle nicht fort von hier. Könne nicht.
Jan Olieslagers überlegte nicht lange, sagte ihm zu im Augenblick. Nur eine Bedingung stellte er: Zum Entgelt müsse Stephe ihm sagen, was denn eigentlich ihn hier festhalte.
Stephe schielte zu ihm hinauf; mißtrauisch genug. „Nein“, sagte er endlich. Und ging. Am nächsten Tag suchte ihn Olieslagers auf dem Friedhof auf. Diesmal sprach er lange auf ihn ein, versuchte ihn zu überreden mit allen Künsten. Aber Stephe wollte nicht.
„Schau!“ rief der Vlame. „Du hast ein Geheimnis. Ich bin neugierig, ich will es wissen. Also sag mir’s. Das kostet nichts. Und am Mittwoch ist kein Mensch zum Soldaten untauglicher als du.“ Stephe schüttelte ruhig den Kopf. Stand auf von der Bank.
Aber am andern Morgen war er sehr früh im Laboratorium. Er zog Scheine aus der Tasche, zweihundertdreißig Dollar, erspartes Geld. Der Vlame wies ihm die Tür.
Dann, zum Abend, kam der wieder auf den Friedhof. Er traf Stephe nicht auf der gewohnten Bank, so wartete er eine Zeitlang, ging dann, ihn zu suchen. Fand ihn endlich, auf einem frischen Grab sitzend, vor sich hinbrütend. Er rief ihn an: „Komm, Stephe.“
Stephe rührte sich nicht. Da ging der Vlame nahe heran, schlug ihm auf die Schulter. „Steh auf! Komm! Ich will dir geben, was du haben willst!“
Langsam erhob sich der Totengräber. „Gleich?“ fragte er. „Morgen ist Ziehung.“
Der Vlame nickte. „Wächst Digitalis irgendwo?“ – Stephe verstand ihn nicht. – „Fingerhut, meine ich.“ Stephe führte ihn, brach die Blüten auf das Geheiß des Vlamen.
„Wo wohnst du?“ fragte Jan Olieslagers.
Stephe ging voraus. Sie kamen, mitten im Totengarten, an das kleine steinerne Beinhaus. Stephe zog einen großen Schlüssel aus der Tasche, schloß auf.
Sie traten ein. In einer Ecke standen ein paar Spaten, Hacken und Schaufeln, hinten lagen leere Säcke. Sonst war nichts in dem Raum.
„Hier wohnst du?“ fragte der Vlame.
Stephe schloß eine zweite Tür auf, die in ein kleines Zimmer führte. „Hier“, nickte er.
Ein Feldbett, ein kleiner Tisch, ein paar Stühle, ein Waschbecken auf einem. Ein alter Koffer, ein zerbrochener Kleiderständer, ein kleiner Eisenofen. Nichts hing an den Wänden.
„Hast du Spiritus?“ fragte Olieslagers. „So koch dir einen Tee von dem Zeug. Trink ihn, ehe du zu Bett gehst.“ Er erklärte ihm genau, wie er es machen solle, auch wie er sich benehmen müsse bei der ärztlichen Untersuchung.
Stephe wiederholte alles, laut und mehrmals. Dann sperrte er den Koffer auf, nahm sein Geld, bot es ihm nochmals.
Der Vlame schüttelte den Kopf. „Laß nur, Stephe. Ich tu’s für dich, weil ich dein Freund bin!“ Ging hinaus.
Draußen lief ihm Stephe nach. Seine Hand hielt ein kleines Korallenhalsband. – „Wollen Sie das, Herr?“ Jan Olieslagers betrachtete es.
„Wo hast du’s her?“ lachte er. „Von einer Braut?“
Stephe nickte.
„Und wo ist sie?“ fragte der Vlame.
„Tot“, sagte Stephe.
Olieslagers gab es ihm zurück. „Neapolitanerin“, murmelte er, „eine aus Ägypterland.“ Aber er fragte nicht weiter. „Behalt’s Stephe,
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