Hans Heinz Ewers
hinübergenommen vom Schlafzimmer. Den griff er auf, alle paar Stunden; beobachtete sorgfältig, wie die Bartstoppeln ihm auf dem Kinn, den Lippen, den Wangen sprossen. Mit Genugtuung stellte er fest, daß sie viel dunkler waren als das blonde Haupthaar und viel schneller wuchsen, als er geahnt hatte.
Am Freitag nachmittag schickte er dem Direktor einen kurzen Brief. „Kommen Sie morgen zwölf Uhr zu mir ins Laboratorium.“
Der Direktor kam – und fand nichts. Jan Olieslagers war fort mit ein paar Sachen. Die Anzeige wurde sofort erstattet, und man suchte sehr scharf nach dem Vlamen, überall in den achtundvierzig Staaten.
Überall – nur nicht auf dem kleinen Friedhof von Andernach.
Jan Olieslagers war in der Nacht übersiedelt, kurz vor Sonnenaufgang. Stephe erwartete ihn, half ihm sofort beim Umkleiden. Ein paar plumpe Soldatenschuhe, dicke Hosen, blauer Sweater, Jacke, Mütze und Overall lagen bereit.
Sie verbrachten ein paar Stunden damit, das alles ein wenig angeschmutzt, gebraucht erscheinen zu lassen. Sowie der alte Totengräber aus seinem Hause kam, ging Jan Olieslagers auf ihn zu, bot ihm seine Dienste an.
„Wo kommst du her?“ fragte der Alte. „Wer hat dich hergeschickt?“ – Aber er erwartete keine Antwort, fuhr schnell fort: „Sprichst du Deutsch?“
„Ja!“ sagte der Vlame.
Der Alte rieb sich die Runzelhände. „Dacht’ ich mir’s doch! Willst unterkriechen, was, für die Kriegszeit? – Mir soll’s recht sein! – Zwanzig die Woche – ich nenn’ dich Mike.“ – Dann rief er durch die Büsche: „Stephe! Stephe!“
Der kam, und der Alte sagte: „Da ist ein Neuer. Heißt Mike, wie der frühere. – Du kannst ihn gleich mitnehmen zur Arbeit.“
Stephe grinste: „Ja, Herr!“
Aber noch einmal hielt sie der Alte zurück. „Wo wohnst du, Mike?“
Der Vlame sagte: „Weiß nicht. Kann ich nicht das Zimmer des andern Mike haben?“
„Eben angekommen?“ brummt der Alte. „Frühzug? – Das ist gescheit – und gleich hier hin?! Nein, das Zimmer von Mike kannst du nicht haben – der wohnte in der Stadt bei seiner Frau! – Mußt heute abend herumsuchen, wirst schon was finden.“ Der neue Mike fragte: „Ist nicht hier draußen irgendein leerer Raum?“
Aber der Alte schüttelte den Kopf. „Nein. Gar nichts. Alle wohnen in der Stadt. Nur Stephe wohnt hier.“
Da sprang Stephe ein: „Er kann bei mir wohnen.“
So zog Jan Olieslagers zu Stephe, in den kleinen Raum bei dem Beinhause, mitten auf dem Friedhofe von Andernach im Ägypterland.
Etwas wohnlicher richtete er den Raum ein. Schickte Stephe in die Stadt, ließ ein Feldbett kaufen und ein paar andere Dinge. Auch zog er Drähte, verband sie mit denen im Beinhause, daß er eine kleine Lampe andrehn konnte. So konnte er lesen im Bett.
Stephe zeigte gut, daß er sein Freund war. Er war stets eine halbe Stunde früher auf, besorgte Wasser, reinigte Kleider und Schuhe. Er machte alle die kleinen Besorgungen in der Stadt.
Da sie stets zusammen arbeiteten, so schaffte Stephe für zwei, erleichterte, wo es nur ging, dem Freunde die ungewohnte Arbeit. In diesen Wochen beobachtete Jan Olieslagers nichts Besonderes an Stephe.
Dann, eines Abends, bemerkte Jan Olieslagers eine gewisse Unruhe an Stephe. An diesem Nachmittag hatte er Freizeit; war, zum ersten Male, ein wenig herausgelaufen, durch die Straßen der Stadt geschlendert. Sein Bart war stark geworden inzwischen; er brauchte nicht mehr zu fürchten, erkannt zu werden. Als er zurückkam, saß Stephe auf seinem Bett, redete vor sich hin. Vor ihm stand, entkorkt, eine volle Whiskyflasche.
„Du trinkst, Stephe?“ fragte er.
„Nein, Mike“, stotterte Stephe. Er nannte ihn nun zuweilen Mike, wie die andern taten. Dann, nach einer Weile, fuhr er fort: „Für Sie, Herr!“
Er stand schwerfällig auf, völlig unfähig, seine Aufregung zu unterdrücken.
Olieslagers dachte: Trinken soll ich. Er will mich trunken machen. Er lächelte. „Komm, Freund, laß uns trinken.“
Sie setzten sich, mischten die Gläser, tranken. Stephe nippte kaum, es schmeckte ihm gar nicht. Aber Olieslagers tat dem Freunde den Gefallen, trank tüchtig drauflos. Er plauderte, erst von der Stadt, was er dort gesehen hatte. Sprach dann von allerhand, erzählte von Neuyork und manchen Städten. Stephe gab sich große Mühe, zuzuhören, ließ es dann gehn; das, was ihn beschäftigte, gab ihn nicht einen Augenblick frei. Langsam fühlte der Vlame eine leichte Trunkenheit, übertrieb die nach
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