Hans Heinz Ewers
er hätte nicht sagen können, wie viele Menschen es waren. Er hatte sprechen gehört – aber nur ein paar unverständliche Laute in langen Pausen –, und nur ein einziges Mal hatte er Stephes Stimme genau erkannt, Immerhin: Stephe hatte Besuch. Denn ob es schon richtig war, daß Stephe oft genug vor sich hinredete, mutterseelenallein so war es doch ebenso gewiß, daß dies stets nur ein leisestes Flüstern war, vielmehr nur eine Bewegung der Lippen zur Unterstützung schwerfälligen Denkens.
Stephe hatte Besuch, das stand fest, und einen Besuch dazu, den er durchaus verheimlichen wollte. Das war auch der Grund, der ihn festhielt auf diesem Gräberpark im Ägypterland – dieser nächtliche Besuch im Beinhaus!
Wie das klang – .dieser nächtliche Besuch im Beinhause!’ Jan Olieslagers lächelte – wenn man dicht daneben wohnte, war nichts Grauliches daran. Die Leichen wurden stets in der kleinen Kapelle aufgebahrt, am anderen Ende des Friedhofes. Nur in sehr seltenen Fällen, bei Unglücksfällen, Selbstmorden oder Verbrechen wurde das Beinhaus benutzt. Solange er nun hier war, hatte es nur ein einziges Mal die Leiche eines alten Mannes beherbergt – und das auch nur auf zwei Stunden an einem Nachmittage. Das Beinhaus war also im Grunde nichts anderes als ein leerer Raum, der gelegentlich benutzt werden konnte zu – Aber welcher leere Raum hätte das nicht können?
Jan Olieslagers überdachte alles, was er wußte von Stephe. Nie hatte er ihn je mit einem Fremden sprechen sehn. Freilich blickte er auf jede Frau und jedes Mädchen, lächelte dabei still vor sich hin – aber er redete nie mit einer und kannte keine. Er sprach gelegentlich mit dem alten Totengräber und mit den andern Gehilfen, aber auch da nur das Allernotwendigste, das, was eben nötig war zur Arbeit. Nur mit ihm allein hatte er hier und da über andere Dinge geredet.
Dennoch, das stand fest: Er war nicht Stephes einziger Freund. Stephe hatte noch andere. Seltene, geheimnisvolle.
Und stärker als je faßte den Vlamen die heiße Sucht: Er mußte es finden. Mußte ergründen, was dieses Hirn ausfüllte, das neben ihm grub.
In dieser Woche sprach er wenig mit Stephe. Der Gedanke ließ ihn nicht, krallte sich fest, gab ihn nicht mehr frei. Tagsüber lief er herum wie ein Schlaftrunkener, nachts lag er schlaflos in seinem Bett, immer besessen von der quälenden Idee: Ich muß es finden. Und diese Qual wurde stärker mit jeder Stunde; das Geheimnis des andern fraß ätzend in seinem Schädel.
Stephe merkte es wohl. Starrte ihn an, ängstlich, minutenlang.
Einmal, mitten in der Arbeit, stieß er den Spaten in die Erde. Fragte plötzlich: „Was quält Sie, Herr?“
Da sagte Jan Olieslagers: „Was soll ich lügen? Es ist dasselbe, das dich quält, Stephe!“
Stephe antwortete nicht. Stand da, unbeweglich. Endlich rang sich ein Stöhnen aus seiner Brust.
Aber kein Wort. Kein kleinstes Wort.
Am Abend, während Stephe das Essen bereitete, hob der Vlame seinen Handkoffer auf das Bett. Er schloß auf, suchte herum, nahm seinen Rasierapparat heraus. Er öffnete das Kästchen, schraubte den Apparat ineinander, spielte damit. Ein hübsches Ding, vergoldet, hell blinkend –
Dann besann er sich: Was wollte er nur damit? Er mußte nachdenken, ehe es ihm einfiel – ach ja, für Stephe!
„Stephe!“ rief er. „Komm her!“ – Er schob ihm das Ding in die Hand. „Da, nimm, das wird dir Freude machen. Ich brauch’ es jetzt nicht. Du aber rasierst dich jeden Tag, und dein Messer ist schlecht und sehr schartig.“
„Nein, nein!“ stammelte Stephe.
Olieslagers bestand darauf. „Doch, du mußt es nehmen. Gabst du mir nicht alles, was ich am Leibe trage? Bin ich denn nicht dein Freund?“
Stephe dankte nicht. Sie aßen schweigend, gingen schweigend zu Bett. Aber am andern Morgen sah der Vlame vom Bett aus, wie Stephe sein Kästchen öffnete, wie er eine neue Klinge nahm, sich sehr wohlgefällig rasierte. Jedes einzelne Teilchen reinigte er sorgfältig.
„Gib meinen Koffer her!“ sagte Jan Olieslagers. Dann nahm er die Puderbüchse und die Seifenschachtel heraus. „Hier, Stephe, das vergaß ich. Es gehört dazu.“
– Sie mußten fest zugreifen in diesen Tagen; noch ein Gehilfe war zu den Soldaten gekommen, und es schienen mehr Leute zu sterben als sonst. Sie mußten früh hinaus, die offenen Gräber zuwerfen, dann neue Löcher schaufeln und die Särge hinablassen bei kurzen Totenfeiern. Sehr spät wurden sie fertig. Sie merkten sich die
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