Hans Heinz Ewers
Laboratorium. Rauchte. Las.
Am Abend war er auf dem Friedhofe. Er erzählte Stephe alles, Wort für Wort, wie es sich zugetragen hatte.
„Ich muß fort!“ schloß er. „Wenn ich nur eine Ahnung hätte, wie und wohin!“
Er überlegte laut; Stephe nickte zuweilen oder schüttelte den Kopf. Warf auch wohl ein Wort ein oder stellte eine Frage.
„Kanada?“ schlug er vor.
Olieslagers lachte. „Ist auch im Kriege. Auf derselben Seite wie die Staaten – die beiden sind eins heute. Und die mexikanische Grenze ist so besetzt, daß kein Hund durchkommt! Nein, ich muß schon im Lande bleiben, irgendwo unterkriechen in einer großen Stadt. Wenn ich nur nicht so gottverdammt bekannt wäre! Hunderttausend bezahlte Geheimagenten arbeiten im ganzen Lande – und ein paar Millionen freiwillige Spione helfen ihnen – mich suchen sie schon seit fast einem Jahr.“
Die beiden fanden nichts. Als der Vlame ging, preßte ihm Stephe – zum ersten Male – die Hand.
Am andern Abend wartete Stephe auf ihn auf der Bank. „Ich hab’s durchgedacht, Herr“, sagte er. „Sie müssen nicht weg. Sie müssen hier bleiben!“
Der Vlame sah ihn erstaunt an. „Hier? Wo hier?“
Stephe fuhr mit dem Arme im Kreis herum. „Hier!“ wiederholte er. „Drei Gehilfen sind eingezogen worden. Der Alte nimmt Sie sofort; wird froh sein, eine Hilfe zu bekommen.“
„Als was?“ fragte Olieslagers. „Als – Totengräber?“
Stephe nickte.
Der Vlame lächelte. Das schien so dumm nicht. Totengräber? Nun, dazu waren wenigstens keinerlei Spezialkenntnisse notwendig wie zum Chemiker!
Und im Augenblicke sah er die Art, wie er den Sprung machen konnte.
Zwölf Tage Zeit – bah, das war übergenug!
Sie sprachen lange an diesem Abend. Ließen keinen kleinsten Umstand außer acht. Und nur über einen Punkt stritten sie hin und her: das war, wer die neuen Kleider bezahlen sollte, die Stephe kaufen sollte. Der Vlame wollte es nicht zugeben, aber Stephe setzte seinen Willen durch: Er würde sie zahlen mit seinem eigenen Gelde. Würde sie dem Freunde schenken.
Früh am Morgen machte der große Chemiker Dr. Jan Olieslagers eine kleine Explosion in seinem Laboratorium, die wenig Schaden anrichtete, aber recht laut knallte. Die Leute liefen zusammen und schlugen an die verschlossene Tür; auch der Direktor war mit ihnen. Als die Türe endlich geöffnet wurde, fanden sie den Vlamen mit völlig verbundenem Kopfe; nur Nase, Augen und Stirne schauten heraus.
„Was ist geschehen?“ fragte der Direktor.
Olieslagers hielt die Tür in der Hand. „Kommen Sie herein“, antwortete er. „Aber keiner außer Ihnen!“ Er drängte die andern zurück und verschloß die Tür. „Was geschehn ist? Was in jedem Laboratorium jeden Tag geschehen kann! Verbrannt hab’ ich mich!“
„Ich werde den Arzt schicken“, rief der Amerikaner.
„Sie werden den Teufel schicken!“ entgegnete ihm der Vlame. „Glauben Sie, ich habe jetzt Zeit, mich mit Ärzten abzugeben? – Zwölf Tage habe ich noch – zwölf Tage – , und ich bin fertig dann, verlassen Sie sich drauf! Alles andere geht Sie nichts an – ob ich mir die Schnauze verbrenne, kann Ihnen verdammt gleichgültig sein!“
„Gut, Herr, gut!“ lachte der Direktor. „Ganz wie Sie wollen! – Brauchen Sie Hilfskräfte?“
„Keine Katze soll mir reinkommen!“ schrie der andere. „Das fehlte mir noch gerade!“ – Dann besann er sich. „Eins wäre mir lieb, Herr! Ich gehe nun zwölf Tage lang nicht hinaus aus diesen Räumen, geben Sie Anweisung, daß mir Essen, Trinken und was ich wünsche, hierhergebracht wird. Und daß alle meine Anordnungen gleich befolgt werden – vor allen andern.“
Der Direktor nickte. „Soll geschehn, Herr!“ – Er ging zur Türe, wandte sich noch einmal zurück. „Wenn Sie das fertigbringen – es soll Ihr Schade nicht sein, Herr!“
Jan Olieslagers schloß sorgfältig hinter ihm. „Aber wenn du’s nicht herauspressen kannst – sperrst du mich ins Zuchthaus, was?“
Er verhängte die Fenster sorgfältig, dann nahm er das Tuch vom Gesicht.
Zwölf Tage lang saß Jan Olieslagers in seinem Zimmer, aß, trank, rauchte und las. Er hatte nicht viele Wünsche; aber der Direktor schickte ihm Whisky, Wein, Zigaretten und allerhand Delikatessen. Der Verband lag ihm stets dicht zur Seite, und er legte ihn sorgfältig um, jedesmal, ehe er die Tür öffnete.
Nichts rührte er an, von all dem Zeug, das herumlag auf dem Tisch. Nur einen kleinen Spiegel hatte er
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