Hans Heinz Ewers
Herzenslust. Er lachte, sang, stand auf und torkelte. Endlich tat er sehr müde, warf sich aufs Bett. Er ließ sich ein Buch reichen, erklärte, noch lesen zu wollen; auch mußte ihm Stephe noch ein volles Glas neben das Bett stellen. Das leerte er gemächlich, las dazu, während Stephe sich langsam aus zog. Olieslagers fühlte, wie er ihn beobachtete, nicht einen Blick von ihm ließ. Endlich ließ er sein Buch fallen, schloß die Augen, gähnte, seufzte, drehte sich herum.
Spielte Opossum; tat als ob er schliefe.
Stephe setzte sich zu ihm ans Bett. Nahm seine Hand, hob sie, ließ sie wieder fallen. Blies ihn leicht auf die Augenlider. Dann, überzeugt, daß sein Freund nun sehr fest schlafe, drehte er die Lampe aus.
Langsam öffnete Olieslagers die Augen. Aber er sah nichts – es war finster im Räume.
Doch hörte er gut, wie Stephe, Stück um Stück, sich wieder anzog. Hosen erst, dann Stiefel – leise, ganz leise – , Sweater und Jacke.
Nun ging Stephe durch den Raum, öffnete die Tür, zog den Schlüssel ab. Ging hinaus und schloß zu von der andern Seite. Seine Schritte hallten, wie er durch das Beinhaus schritt – und hinaus von dort auf den Friedhof.
Dann war alles still.
Der Vlame überlegte. Sollte er ihm nachgehen? Die Tür war verschlossen, aber er hätte durchs Fenster steigen können. Doch bis er sich angezogen hätte, würde Stephe längst hinaus sein aus dem Kirchhofe. Und dann: Das war klar, daß Stephe sich schützen wollte vor jeder Beobachtung. Darum hatte er den Whisky angeschafft, darum –
Und er brauchte Stephe – der war sein Schutz nun. Mußte sein Freund bleiben, nicht sein Feind werden. Wenn er ganz sicher wäre, daß Stephe nichts merken würde –
Aber der würde es merken. War argwöhnisch ohnehin und dazu nüchtern, während er selbst doch angetrunken genug war, um nicht sicher zu sein, Lärm zu vermeiden.
Nein, es war schon besser, er bliebe ruhig liegen.
Dann hörte er wieder Schritte draußen, lauschte scharf auf. Die Tür zum Beinhause öffnete sich, schloß sich wieder. Etwas geschah da drinnen.
Ein Gehen. Ein Schlurfen. Und wieder nichts. Ein Sprechen, halblaut, er konnte nicht verstehen, was es war. Still wieder.
Das ging so durch Stunden. Ab und zu ein Geräusch, das er nicht enträtseln konnte. Und dann ein Sprechen. Er glaubte, daß es Stephes Stimme war, aber vielleicht war das nur, weil er den dort vermutete. Er konnte auch nicht feststellen, wie viele Menschen es waren. Die Worte, die sein Ohr griff, waren abgerissen, manchmal mußte er eine halbe Stunde auf eines warten. Und verstehn konnte er nicht ein einziges.
Endlich wieder das Tappen schwerer Schritte, ein Öffnen der Türe zum Friedhofe – diesmal blieb sie offen. Und, verhallend, die Schritte da draußen –
Jan Olieslagers hatte aufrecht gesessen im Bett, sehr angespannt gearbeitet mit dem einen Sinne. Als er nichts hörte, nichts, gar nichts mehr, seufzte er auf. Atmete schwer, wie befreit. Starrte ins Dunkel, minutenlang. Ließ sich dann zurückfallen. Schlief ein.
Stephe stand vor ihm, als er aufwachte. Er hatte die Decke ein wenig zurückgezogen, berührte unendlich vorsichtig seinen Arm.
„Aufstehn, Herr!“ bat er. „Es ist höchste Zeit.“
Er reichte ihm die Kleider, stellte ihm Wasser hin zum Waschen. Jan Olieslagers betrachtete ihn beim Ankleiden: Stephe sah rein aus und frisch gewaschen. Als sie hinausgingen zur Arbeit, warf er einen raschen Blick über das Beinhaus – es sah genauso aus, wie am Abend vorher. Die alten Säcke hinten in der Ecke und vorne ihre Hacken und Spaten, die sie stets dort hinstellten und morgens wieder mit hinaus nahmen.
Nichts sprach von Stephes nächtlichem Erlebnis. Doch – ein paar Blütenzweige lagen da herum.
Sie hatten an diesem Morgen stramm zu arbeiten, drei neue Gräber mußten ausgeworfen werden. Während der Spaten einsetzte, die lehmigen Klöße auswarf aus der Grube, Stich um Stich sich tiefer hineinfraß in die Erde, dachte Jan Olieslagers nach. Suchte sein Gedächtnis durch, von dem Augenblicke an, in dem er nach Hause gekommen war gestern abend. Aber wie er suchte – er fand kaum etwas Greifbares. Stephe wollte ihn trunken machen, das war völlig klar, wollte das zu dem einzigen Zweck, daß er recht fest schlafen sollte und nichts merken von dem, was vorging nebenan in der Nacht.
Aber was ging dort vor? Stephe ging fort – und kam zurück nach geraumer Zeit. Mit jemandem? Mit einem? Mit zweien? Er hatte Schritte gehört – aber
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