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Hansetochter

Hansetochter

Titel: Hansetochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weiß
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beruhigen.
    Er wusste jedoch nicht, ob dieser es noch gehört hatte, denn schon wurde er in die Höhe gerissen, bis er schließlich unter dem Rauchabzug baumelte. Das Seil schnürte seinen Leib ein, der Junge schrie schmerzerfüllt. Die Verkleideten nahmen Fellreste, altes Holz und Unrat aus den Fässern und warfen es in die Flammen, so dass schnell ein beißender Rauch die Luft erfüllte. Claas keuchte, immer von ersticktem Husten unterbrochen. Simon wäre am liebsten eingeschritten, aber er konnte nicht. Auch würde es Claas vermutlich nicht helfen.
    »Sprich ein Gebet für uns!«, rief der Narr nach oben und warf eine Handvoll Borsten in das Feuer, die sogleich stinkend verbrannten.
    Claas weinte und hustete unentwegt, begann aber keuchend zu sprechen. Als er geendet hatte, trat Nikolas vor und warf ein Fellbüschel in die Flammen, eine Stichflamme schoss hoch. Simon hätte sich denken können, dass sein Vetter sich dieses Schauspiel nicht entgehen lassen würde. Claas’ Schreie waren schrill geworden.
    »Sing uns ein Lied!«, befahl Nikolas ungerührt.
    Der Rauch war undurchdringlich. Selbst Simon musste bereits husten, wie musste es erst Claas gehen? Der Junge sang mit gebrochener Stimme einige Strophen, dann verklang seine Stimme. Keine Bewegung war mehr in der Höhe zu erkennen.
    »Lasst ihn runter! Er hat getan, was er sollte!«, rief Simon voller Angst um den Freund. Weil er ahnte, dass niemand aus Mitleid seinem Wunsch Folge leisten würde, fügte er hinzu: »Ich will auch noch drankommen!«
    Die Männer lachten, der Mut des neuen Lehrjungen schien ihnen zu gefallen.
    »Kannst es gar nicht erwarten, was? Na gut, lasst ihn runter.«
    Claas wurde auf den Fußboden gelassen. Der Junge rührtesich nicht mehr. Er war schwarz von Ruß. Einige packten ihn an Händen und Füßen, zerrten den leblosen Körper zur Tür. Jetzt wurde Simon ergriffen.
    »Was geschieht mit ihm?«, wollte er wissen und sah sich panisch um. Schräg hinter ihm stand Vicus. Der Sohn des Ratsherrn zitterte, sein Gesicht war tränennass.
    »Sechs Tonnen Wasser warten darauf, über ihm ausgekippt zu werden.« Der Mann, der Simons Seil über den Balken warf, hatte geantwortet. Simon schluckte, das Herz hämmerte in seiner Brust. Sechs Tonnen? In dieser Menge Wasser konnte man ertrinken!
    »Aber er ist gar nicht bei Bewusstsein!«, rief Simon. Schon spürte er den heftigen Ruck um seine Brust, spürte das Seil, das seine Haut einschnürte, ein schneidender Schmerz, der ihm den Atem nahm.
    »Für den habe ich was Schönes!«, vernahm er von unten Nikolas’ Stimme.
    Er sah durch den Rauch das Feuer glimmen, hörte ein Zischen, vernahm den beißenden Geruch von Urin, gefolgt von dumpfem Männerlachen und weiteren undefinierbaren Geräuschen. Dann wurde der Rauch dichter, schwarz und ölig. Simon sog keuchend die Luft ein, hielt den Atem an. Im Nu war sein Hals wund, die Augen brannten. Er musste husten und spürte, wie das Seil mit jedem Krampf tiefer in seine Haut schnitt.
    »... Lied!«, hörte er nun und begann zu singen. Sein Mund, seine Augenlider schwollen an. Ihm wurde schwindelig, Fragen verschwammen in seinem Kopf, eine verquerer als die andere. Immer wieder wurde ihm schwarz vor Augen, alles drehte sich. Endlich der erlösende Ruck. Der harte Aufschlag auf den Bohlen. Zwei Männer, die ihn unter den Armen packten und wegzerrten. Einen Blick noch auf die Menge. Nikolas, den Schein der Flammen auf seinem beifällig grinsenden Gesicht. Die gefesselten Neuankömmlinge, ein Häufchen Elend. Ihnen standnoch bevor, was Simon schon hinter sich hatte. Vicus, dessen Seil gerade gespannt wurde. Ein Ruf: »Er hat sich vollgepisst! Jetzt schon!« Gelächter.
    Simon wurde auf den Boden vor dem Schütting geworfen. Schwallweise wurde das Wasser über ihn gegossen, wurde er wieder und wieder von der Wucht des Strahles auf die rauen Bohlen gepresst. Schließlich ließ man ihn allein, kehrte zurück in den Schütting, wo es offenbar lustiger zuging. Simon blieb auf dem Rücken liegend zurück, schwer atmend, über sich die Sterne. Das also waren die Bergener Spiele. Darauf hätte er gut und gerne verzichten können.
    Mühsam drehte er sich auf die Seite, noch immer hustend, sah hinter sich einen Körper, unbewegt. Claas! Er kam auf alle viere, krabbelte zu ihm. Der Junge war ohne Bewusstsein, lebte aber noch. Auf seinem Leib hatte das Seil einen roten, blutigen Striemen hinterlassen. Simon nahm ihn auf den Arm, schleppte ihn in die Kammer. In Sicherheit.

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