Hansetochter
ausgedörrten Fischmumien, ein unheimlicher Anblick. Während er noch darüber nachsann, was das wohl für Fische waren, mahnte Otte sie noch einmal: Über diesen Tisch müssten sich die ungehorsamen Lehrjungen beugen, wenn sie die Schläge mit dem Ochsenziemer empfingen.
Die Führung endete mit der Einteilung der sogenannten Neukommers. Neben der Arbeit für ihre Herren gab es für sie reichlich Pflichten. Das Sortieren, Verladen und Verstauen der Ware war Aufgabe der jüngeren Gesellen. Ältere Lehrjungen, die Schutenjungen, kümmerten sich am Kai um Schuten und Prahme, füllten den Tran um, tonnten Fischrogen ein oder putzten den Stockfisch zurecht.
Simon und Claas wurden zu den Stubenjungen eingeteilt. Siewaren für die Reinhaltung des Hofes zuständig, mussten die Abfälle beseitigen, den Küchendienst versehen und das Essen auftragen. Noch mehr langweilige Arbeit, dachte Simon und unterdrückte ein Seufzen. Er würde sich zunächst an Nikolas halten müssen, das war seine einzige Möglichkeit, überhaupt etwas über das Geschäftemachen zu lernen. Zum ersten Mal war er froh darüber, dass sein Vetter im Gegensatz zu anderen Kaufleuten, die über bis zu zehn Gehilfen und Lehrjungen verfügten, nur ihn hatte. Er würde kaum auf seine Hilfe verzichten können.
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Simon fand Nikolas in der Packstube. Sein Vetter war damit beschäftigt, Säcke auf einen Karren zu laden. »Was willst du hier? Hast du nichts Besseres zu tun?«, meinte er giftig und klopfte sich Staub von seiner frischen Kleidung.
Was hatte er vor, dass er sich gleich umgekleidet hatte?, fragte sich Simon, ließ sich aber nichts anmerken.
»Ich wollte mitanfassen. Die vornehmste Pflicht eines Lehrjungen ist der Dienst an seinem Herrn.«
Nikolas musterte ihn prüfend. Hätte er nur die Spur von Spott in Simons Gesicht entdeckt, hätte er zugeschlagen.
Aber der sah ihn ganz ernst an.
»Nun gut, dann komm«, sagte Nikolas misstrauisch und schritt durch das nach hinten gelegene Tor aus dem Hof. Simon mühte sich, mit dem Karren Schritt zu halten. Sie überquerten eine größere Straße und tauchten in das Gassengewirr der Stadt ein. Viele Holzhäuser waren hübsch angemalt und trugen geschnitzte Figuren auf dem Giebel. Frauen stützten sich auf ihre Fensterbänke und blickten auf die Passanten. Einige hatten derart tiefe Ausschnitte, dass ihre Brüste herauszupurzeln drohten.
Simon schoss das Blut in den Kopf, und er wandte sich seltsam verwirrt ab. Er stolperte seinem Vetter hinterher, der einHaus mit einem kleinen Laden ansteuerte, über dem eine Waage hing. Nikolas hielt sich nicht am Fensterladen auf, sondern trat gleich ein. Aus dem Haus waren Freudenlaute zu hören.
»Der junge Herr Vresdorp, endlich!«
Simon schob den Karren über die Schwelle und sah eine blonde, rundliche Frau mit Himmelfahrtsnase und einem Kind auf dem Arm, die seinen Vetter überschwänglich begrüßte. In dem kleinen Zimmer, das Kramladen und Stube zugleich zu sein schien, hingen Waren von der Decke, standen Fässer in den Nischen und lagen Säcke auf dem Boden. Hinter einer schlichten Holzwand konnte er den Feuerschein eines Herdes erkennen, daneben einen Vorhang, der in das Hinterhaus führte. Es roch nach Kräutern, Herdfeuer und dem unvermeidlichen Stockfisch.
Als die Frau ihn erblickte, kam sie auf ihn zu und kniff ihm in die Wange. »Und du, wer bist du?«, fragte sie mit vertrauten Worten, aber einem fremden Zungenschlag.
Nikolas machte eine wegwerfende Handbewegung. »Das ist Simon, mein Vetter, beachte ihn gar nicht.«
Er räusperte sich. »Ist denn dein Ehemann im Hause, Ellin?«
Die junge Frau blinzelte und verneinte. »Habt Ihr uns Getreide mitgebracht? Ihr glaubt gar nicht, wie sehr wir auf den Roggen gewartet haben, der Winter war hart.«
Simon war erstaunt, Nikolas lächeln zu sehen.
»Du siehst glücklicherweise nicht aus, als ob du gehungert hättest.«
Ellin schlug die Augen nieder. Rote Flecken zeigten sich auf ihren Wangen, und Simon fand, sie wirkte reizend, so verlegen.
»Es gibt ohnehin so viele schöne Frauen in Bergen.« Nikolas fuhr mit seiner Zunge über die Lippen.
Ellin wirkte verwirrt. »Möchtet Ihr und Simon einen Krug Bier?«, versuchte sie das Thema zu wechseln.
Simon wollte das Angebot dankend annehmen, doch Nikolas fuhr ihm über den Mund.
»Ich nehme gerne ein Bier. Und Simon, du lädst den Karren ab und gehst zurück zum Kontor. Dort gibt es genug für dich zu tun. Stubenjungen haben immer Arbeit. Vermutlich darfst
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