Hansetochter
kam ihm entgegen, das Gesicht gerötet. Adrian hatte ihn immer als einen Jungen betrachtet, doch schon im Gasthaus war ihm aufgefallen, dass Liv dabei war, ein Mann zu werden. Er würde ihn langsam auch als solchen behandeln müssen.
»Ihr habt Besuch, Herr. Ich konnte sie nicht abweisen«, sagte Liv verlegen und wies auf die Schreibstube.
Adrian runzelte die Stirn und trat ein. Mechthild Diercksen stand im Raum und strich mit den Fingern über die feinen Tücher auf seinem Schrank.
»Ich muss mit Euch sprechen – allein.« Sie warf einen Blick auf Liv, der daraufhin umgehend den Raum verließ.
Adrian begann sich zu ärgern. Was machte sie schon wieder hier? Was maßte sie sich an, seinem Gehilfen Anweisungen zu geben – und wieso gehorchte Liv ihr? Er würde ein ernstes Wort mit ihm sprechen müssen. Sie trat auf ihn zu, so nah, dass er von ihrem schweren, süßlichen Duft eingehüllt wurde. Adrian sah die Schwellung ihrer Brüste und spürte verwirrt die Hitze in seinem Leib. Unter normalen Umständen hätte er sich von Mechthild Diercksen kaum angezogen gefühlt, aber heute, nach den sinnlichen Eindrücken des Badehauses und dem aufkeimenden Gefühl der Einsamkeit ...
»Ich vermisse meinen Mann. Er hat mich allein gelassen, wieder einmal. Allein mit meiner Tochter«, klagte sie und legte die Hand auf seine Brust.
»Ist es nicht die vornehmste Aufgabe einer Frau, sich um ihre Kinder zu kümmern?«, sagte er, als sie sich noch näher an ihn schob. Schon fühlte er die Rundung ihres Busens, ihrer Hüfte.
»Die vornehmste, aber auch die ermüdendste. Einen Bräutigam für Drudeke zu suchen ist mir eine Qual. Nur langweilige Männer kommen infrage. Ihr Vater träumt von einem Adeligen als Ehemann. Aber so einfach ist es nun auch wieder nicht, einen Mann von Adel zu einer Heirat mit einer Bürgerlichen zu bringen. Unsere Geldmittel sind schließlich nicht unbegrenzt, wie Ihr auch an diesem Haus seht, das schon länger instand gesetzt werden müsste. Habt Ihr nicht vielleicht an meiner Drudeke Interesse? Ihr seid zumindest ein Bild von einem Mann. Das ist auch für die Schwiegermutter von Vorteil.« Sie sah zu ihm auf, ihre Lippen waren von einer roten Paste bedeckt und leicht geöffnet.
Er müsste sich nur zu ihr hinunterbeugen, sie würde seinen Kuss erwidern, da war er gewiss. Aber sie war die Frau des Mannes, der ihm eine Unterkunft geboten hatte, der ihm in Lübeck weiterhelfen würde, einem guten und gläubigen Mann. Er wandte sich ab: »Euer Gemahl ist im Badehaus und genießt die Erleichterung des warmen Wassers.«
Mechthild Diercksen lachte auf. »Nicht nur das Wasser wird ihm dort Erleichterung verschaffen! Die Huren nebenan werden es vor allem. Denn er mag zwar alt sein, dennoch ist ihm seine Frau nicht genug«, sagte sie eine Spur zu schrill.
Ein Hurenhaus, neben dem Badehaus, womöglich noch mit direktem Zugang? Das hatte er nicht gewusst. Aber warum auch nicht? Auch Ratsherren hatten fleischliche Bedürfnisse, so fiel es zumindest nicht auf, wenn sie ihnen nachgaben.
Die Frau näherte sich ihm wieder, jetzt umfasste sie seine Hüfte. »Warum also sollte ein Mann mir genug sein?«, hauchte sie.
Er war nicht der Erste, den sie verführte, das war klar. Sie fühlte sich ihrer Sache sicher, zu sicher. Wenn er seinen Körper bestimmen lassen würde, würde es geschehen, gleich hier, auf dem Boden oder der Platte seines Schreibtisches, und vermutlich würde es ihr auch noch gefallen. Er spürte das Pochen seines Körpers, gab ihm aber nicht nach. Es gab Wichtigeres als das, nämlich Ehre, Anstand und Loyalität.
»Liv!« Adrian trat auf die Tür zu, schon war der frühere Schiffsjunge zur Stelle. »Die Dame möchte gehen. Geleite sie nach nebenan in ihr Haus, auf dass sie sicher heimkommt. Gute Nacht, Frau Diercksen!«, verabschiedete er sie.
Mechthild Diercksen warf ihm einen tiefen Blick und ein selbstgefälliges Lächeln zu. »Schlaft gut, Herr Vanderen, und angenehme Träume.«
Adrian schloss erleichtert die Tür. Es wurde wirklich Zeit, dass er heiratete. Frauen wie Mechthild Diercksen könnten ihm gefährlich werden, nicht zuletzt wegen der üblen Gerüchte, die der Umgang mit ihnen hervorrufen konnte.
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Schleifstaub und der Geruch von gekochtem Öl lagen in der Luft. Leise surrten in dem Haus in der Braunstraße die Schleifstühle, die die Männer mithilfe von Pedalen antrieben. An einem Tisch wurde Rohbernstein poliert, an einem anderen wurde er in einem Pflanzenölbad klar
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