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Hansetochter

Hansetochter

Titel: Hansetochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weiß
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hatte sich noch nicht abschließend geäußert. Es ging alles langsam voran, sehr langsam. Die Ungeduld versetzte seinen ganzen Körper in Spannung. In Brügge hätte er sich nun auf sein Pferd geschwungen und wäre durch die Wälder vor der Stadt galoppiert, um sich abzulenken und zu beruhigen. Aber hier?

13
    Lübeck, Januar 1376
    S imon klappte seine Wachstafel zu und betrachtete noch einmal den Drachen, der die Spitze seines Schreibgriffels schmückte. Wild und gefährlich sah er aus, er war wie ein Versprechen für ein Leben voller Abenteuer. Dabei waren seine Tage alles andere als abenteuerlich. Er steckte den Griffel in sein Wams   – Nikolas durfte ihn nicht in die Finger bekommen, er hatte ihn schon oft begierig angeschaut   – und lauschte. Es war merkwürdig still im Haus, wie so oft in letzter Zeit, seit Margarete und die Magd Gesche das Haus verlassen hatten. Simon packte die Wut, wenn er daran dachte. Zielstrebig ging er zu dem Schrank im Flur, in dem sein Vater seinen Harnisch und seine Waffen verwahrt hatte. Jeder Bürger musste in jedem Moment bereit sein, die Stadt zu verteidigen. Sein Vater hatte deshalb seinen Harnisch regelmäßig selbst geölt und poliert. Der Junge verharrte im Schutz des Schrankes und spitzte die Ohren. Niemand war in der Nähe, er konnte es wagen.
    Er öffnete den Schrank. Mit geübtem Griff holte er einen Säbel hervor, zog ihn aus der Scheide und ging an das Ende des Ganges. Dort schwang er den Säbel in der Luft, ließ seine Gefühle die Führung übernehmen, gab bei jedem Schlag seiner Wut ein Gesicht. Hieb und Ausfallschritt. Nikolas, der es zu genießen schien, wenn er Simon verprügeln konnte. Vorzugsweise bestellte er ihn in den Gewölbekeller, wo Simon sich mit heruntergelassenen Hosen auf ein Fass stützen musste und die Rute übergezogen bekam. Eine Drehung, den Säbel nah am Körper. Der Onkel, falsch und verschlagen. Hieb auf Hieb. Die Tante, unerträglich in ihrer heuchlerischen Frömmelei. Schlag undSchritt. Simon hustete, war außer Atem. Letztes Mal hatte er länger üben können. Dennoch ging er an den Ausgangspunkt zurück und begann von Neuem.
    Wenn er doch schon älter wäre! Seine Welt bröckelte wie eine Sandburg, an der das Meer fraß, und er konnte nichts dagegen tun. Seine Gedanken kreisten um das eben abgelaufene letzte Jahr. Der Tod des Vaters, der Streit seiner Verwandten mit Henrike. Die abnehmenden Warenstapel, das Verschwinden des Silbers, der Umgang mit Jost und dem Gesinde. Jeden Tag hatte seine Tante an Margaretes Haushaltsführung herumgemeckert. Die Mahlzeiten seien zu üppig, sie gebe zu viel Geld aus, habe das Gesinde nicht im Griff. Dann hatte es Streit über Gesche gegeben. Die Magd hatte sich merkwürdig verhalten. Sie verschwand oft und lange im Hinterhof, weinte ohne Grund. Die Tante hatte verfügt, dass Gesche das Haus verlassen müsse. Aber Margarete hatte sich geweigert, sie gehen zu lassen, und so hatte die Tante die alte Frau gleich mit entlassen. Nicht einmal das Geld, das sein Vater Margarete in seinem Testament vermacht hatte, hatte Onkel Hartwig ihr geben wollen. Da hatte Simon sich eingemischt, denn Vaters Testament kannte er ja. Prügel hatte es gesetzt, wie so oft. Wer weiß, wie es weitergegangen wäre, wenn Adrian Vanderen nicht hinzugekommen wäre.
    Simon holte von Neuem aus. Doch nun traf er versehentlich den Schrank. Es schepperte laut. Verdammt   – gleich würde jemand nachsehen, wer diesen Lärm verursacht hatte! Flugs schob er den Säbel in die Scheide und verschloss die Schranktür. Doch darin war nun eine tiefe Scharte. Er presste das abgesplitterte Holz wieder an, aber es würde kaum halten. Leim musste her. Schon öffnete sich die Tür. »Wo bleibst du, Simon? Ab zur Messe, Gott wartet nicht!«
    Simon folgte Tante Ilsebe seufzend. Frühmesse, Hochmesse, Nachtgesang   – keinen Gottesdienst durfte er auslassen. Die Tischgebete waren lang, auch abends vor dem Schlafengehenbetete seine Tante noch einmal mit ihm. Richtige Kaufleute hingegen ließen die Messen öfter mal aus, wichtige Geschäfte ließen sich eben nicht durch Kirchenglocken unterbrechen. Er konnte es kaum erwarten, endlich erwachsen zu sein!
    ~~~
    Ein Stück Fisch, kaum größer als ein Hühnerei. Zerkochte Rüben, Kraut, Linsen, dünner Haferbrei und verschrumpelte Äpfel, dazu einen Tropfen Wein und viel Wasser. Simon sah am Gesindetisch nur lange Gesichter. Einen derart kärglich gedeckten Tisch hatte es bei seinem Vater nie gegeben.

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