Hansetochter
leben.«
Adrian dachte an Mechthild Diercksen und an den Altersunterschied zwischen den beiden Eheleuten. Dass es Bruno Diercksen gefiel, eine junge Frau zu haben, war offenkundig, aber wie zufrieden wohl seine Gemahlin in dieser Ehe war? Den Blicken nach zu urteilen, mit denen sie Adrian manches Mal bedacht hatte, war ihre Aufmerksamkeit zumindest nicht auf ihren Mann beschränkt.
Diercksen öffnete die Augen, sie waren glasig in dem krebsroten Gesicht. Er schickte die Bademägde hinaus. »In friedlichen Momenten wie diesem wird mir besonders klar, wie viel auf uns lastet. Wir alle wollen ein gottgefälliges Leben führen, aber der Herr macht es uns nicht leicht. Wir Kaufleute sorgen uns ohnehin sehr um unsere Seligkeit, ist es nicht so? Immer plagt uns die Angst, zu Unrecht an jemandem verdient zu haben, unrechtmäßiges Gut erworben und so gegen die Gesetze Gottes verstoßen zu haben. Auch unseren verstorbenen Freund plagte so manches, selbst am Tage seines Todes noch. Ihr wisst es doch, oder?«
Adrian setzte sich auf, massierte die Narbe an seiner Schulter, wo ihn die Enterdregge getroffen hatte. Die Wunde schmerzte noch immer, obgleich der Überfall beinahe zwei Monate her war.
»Was meint Ihr?«, fragte er.
»Wo er tatsächlich gefunden wurde, meine ich«, sagte Diercksen verschwörerisch und blickte Adrian forschend durch die aufgeheizten Dunstschwaden an.
»Ich weiß, es war in einem Hurenhaus«, antwortete dieser mit gedämpfter Stimme. Schon als sie die Leiche in das Haus gebracht hatten – Henrike und Simon ahnten von dem schrecklichen Ereignis noch nichts –, hatte er die Wahrheit über den Fundort erfahren. Und selbstverständlich für sich behalten.
Diercksen kratzte nachdenklich durch seinen Backenbart. »Ihr könnt schweigen. Das ist gut«, hielt er fest. »Niemandem wäre damit gedient, wenn es herauskäme. Am wenigsten der Familie.«
Adrian hängte die Ellenbogen über den Bottichrand. Langsam kühlte das Wasser ab. »Ich habe nur Kontakt zu Hartwig Vresdorp, und unser Verhältnis ist nicht das Beste. Darüber wollte ich auch mit Euch sprechen.« Er wusste, dass Diercksen sich innerhalb des Rates auch mit der Bedrohung durch Piraten beschäftigte, und berichtete ihm von dem Gespräch mit dem Seemann.
»Ihr meint, da ist etwas faul? Ich werde mal versuchen, dieser Sache nachzugehen. Auch den Seeräubern, die die Cruceborch überfallen haben, sind wir übrigens auf der Spur. Wir Lübecker werden für Recht und Ordnung auf den Meeren sorgen, der Handel muss sicher sein. Besonders für Lübecker Kaufleute, wie Ihr einer seid.« Diercksen lächelte Adrian verschmitzt zu. »Wo wir gerade dabei sind: Viele angesehene Bürger unserer Stadt setzen sich für notleidende Arme ein. Ich selbst stehe einigen kirchlichen Stiftungen vor. Wenn Ihr als neues Mitglied unserer Gemeinschaft also für Euer Seelenheil sorgen wollt ...«
»Natürlich könnt Ihr mit mir rechnen. In Brügge unterstütze ich mit meinem Bruder Lambert ein Waisenhaus. Wir können bei Gelegenheit darüber sprechen, was ich tun kann«, antwortete Adrian und rieb über die Gänsehaut an seinem Arm. Langsam wurde es ungemütlich, aber Diercksen schien es nichts auszumachen. Sie könnten sich noch einmal Wasser bringen lassen, doch Adrian wollte Briefe schreiben, also kam er auf die Füße. Einer musste ja den Anfang machen.
»Was machen eigentlich Eure Geschäfte? Wie geht es mit dem Orden? Seid Ihr vorangekommen?«, wollte Diercksen wissen.
»Die Gespräche laufen noch«, sagte Adrian vage und hüllte sich in ein großes Tuch.
»Geschäfte mit dem Orden sind kompliziert, aber das wisst Ihr ja sicher aus Brügge«, sagte Diercksen und rief nach der Bademagd. »Ich bleibe noch ein wenig. Meine müden Knochen können etwas mehr Wärme gebrauchen.«
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Seine Haut prickelte, als er in die Winternacht hinaustrat. Weiß stieg sein Atem in den dunklen Himmel auf. Aus den Fenstern fiel das Kerzenlicht auf den Schnee, warm und heimelig sahen viele Häuser aus. Jähes Heimweh nach Brügge und seiner Familie überfiel ihn. Er würde allein in einem muffigen Haus sein, allein mit seinem Gesinde. Unwirsch schob er den Anflug des Selbstmitleids von sich. Er allein war für seine Lage verantwortlich. Schon in wenigen Wochen, ja Tagen, könnte er Abhilfe schaffen. Er müsste sich nur entscheiden, welches Haus er kaufen und welche Frau er heiraten wolle.
Auch vor seinem Haus leuchtete eine Fackel. In der Diele war es angenehm warm. Liv
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