Happy End am Mittelmeer
auf der französischen Seite des Ärmelkanals weiter.
Ayme war aufgeregt. Schließlich fiel das für sie unter Sightseeing. Aber als David eine Linkskurve machte, wo sie eine Rechtskurve erwartete, protestierte sie.
„He, auf den Schildern steht ‚Paris, dort entlang‘.“
„Aber wir fahren nicht nach Paris.“
Ihr wurde das Herz schwer. „Wo fahren wir hin?“
„Das wirst du schon sehen.“
Sie biss sich auf die Zunge. Jetzt reichte es ihr aber mit diesem ‚Das wirst du schon sehen‘. Wenn David ihr nicht genug vertraute, um ihr das Ziel mitzuteilen, was machte sie dann mit ihm hier?
Schließlich sagte sie sich – in einem kurzen Moment der Selbsterkenntnis –, dass sie endlich damit aufhören sollte, darüber nachzudenken, was sie machen sollte, Punkt. Warum zog sie mit diesem Mann durch die Gegend, den sie kaum kannte? Es war schlimm genug, dass sie alles stehen und liegen gelassen hatte, um aus einer Laune heraus und mit nichts als einer Adresse samt Cici nach London zu hasten. Aber was machte sie jetzt? Es war verrückt. Er befürchtete sicherlich ernsthaft, in Gefahr zu sein, sonst würde er nicht diese Maßnahmen ergreifen, um im Verborgenen zu bleiben. Und bitte, sie ging mit ihm mit, als sollte sie es ohne Fragen tun. Wahnsinn!
Aber sie wusste insgeheim nur zu gut, warum sie das tat. Dass er ein so gut aussehender Mann war, schadete sicher nicht. Es gab ein gewisses Prickeln zwischen ihnen, das wollte sie nicht leugnen.
Aber da war noch mehr, etwas, das tiefer ging, schlimmer war. Sie machte es, um der Realität zu entfliehen.
Komisch – sie hatte sich Hals über Kopf auf eine gefährliche Verfolgungsjagd eingelassen, um ihrem Alltag zu entgehen. Je länger sie die Reise nach Nirgendwo fortsetzte, desto länger konnte sie sich darum drücken, sich damit auseinanderzusetzen, was mit ihrer Schwester und ihren Eltern passiert war. Und desto länger konnte sie es vermeiden, darüber nachzudenken, wie ihr Leben weitergehen sollte.
Also gut, jetzt wusste sie, warum sie das tat. Und sie wusste, warum er es tat – zumindest hatte sie eine vage Vorstellung. Aber das bedeutete nicht, dass sie bei dieser ‚Das wirst du schon sehen‘-Geschichte mitmachen musste. Entweder sie war eine Komplizin, oder sie würde aussteigen. Nun, vielleicht nicht wirklich aussteigen. Aber sie würde ihm mitteilen, dass sie nicht glücklich war und erwartete, besser behandelt zu werden.
Sie lehnte sich zurück und besah sich sein schönes Profil, seinen sexy Dreitagebart und wie charmant ihm sein volles Haar in die Stirn fiel.
„Was ist los?“
Ayme antwortete nicht. Sie sah ihn einfach nur an. Er blickte noch einige Male in ihre Richtung, schließlich hielt er mit einem frustrierten Ausruf am Straßenrand und drehte sich zu ihr.
„Was hast du? Du machst mich verrückt, wenn du einfach nur so stumm dasitzt.“
„Vertrauen. Ich will, dass du mir vertraust.“ An seinem verwirrten Gesichtsausdruck konnte sie erkennen, dass er keine Ahnung hatte, wovon sie sprach.
„Aber ich vertraue dir doch“, protestierte er.
„Nein, tust du nicht. Wenn du es tätest, würdest du mir die Wahrheit sagen.“
„Die Wahrheit worüber?“, fragte er bedächtig.
„Über alles“, antwortete sie energisch.
Alles. Er lehnte den Kopf gegen die Kopfstütze und lachte müde. Wenn sie wüsste, wie sehr es alles noch mehr komplizieren würde. „Ayme, Ayme, wie kommst du eigentlich darauf, dass ich bei allem die Wahrheit kenne?“
„Du weißt mehr als ich. Und das ist alles, was ich will.“ Sie rückte näher, legte ihm ihre Hand auf den Arm, versuchte, ihm begreiflich zu machen, wie wichtig das für sie war. „Weißt du, das hasse ich – du kennst sie, und ich kenn sie nicht. Du führst, und ich folge dir. Ich muss mein Leben selbst in der Hand haben. Ich kann nicht nur hier sitzen und dich mein Schicksal lenken lassen. Ich muss selbst darüber entscheiden können.“ Sie legte ihm ihre Hand etwas fester auf. „Nenn mir die Fakten, lass mich selbst denken. Lass mich meine eigenen Fehler machen. Aber behandele mich nicht wie ein Kind, David. Bitte. Ich will deine Partnerin sein.“
Er sah ihre ernste Miene und spürte Gefühle in sich aufwallen, die er noch nie gespürt hatte. Er mochte Ayme. Er mochte sie sehr. Eigentlich zu sehr. Aber es war ihm egal. Sie hatte so etwas Gutes und Reines und Wertvolles an sich. Er strich ihr mit der Hand über die Wange und lächelte sie an. Der Drang, sie zu küssen, stieg in ihm auf.
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