Happy End auf Sizilianisch
und mehr als einmal musste einer seiner Brüder eine Frage, die an ihn gerichtet war, wiederholen, um eine Antwort von ihm zu bekommen.
Kaum war das Essen beendet, nahm er zwei Weingläser und führte Angie auf die Terrasse. Die Sonne war längst untergegangen, und eine ganze Weile lang standen die beiden schweigend nebeneinander und sahen hinaus in die Nacht. “Wollen wir uns nicht duzen?”, schlug Bernardo unvermittelt vor, und seinem Gesichtsausdruck war deutlich anzusehen, welche Überwindung die Frage ihn kostete.
“Sehr gern”, erwiderte Angie gerührt und erwartete gespannt, dass Bernardo sich zu ihr herunterbeugte, um sie zu küssen. Und dann würde er es auch endlich wagen, die Einladung auszusprechen, auf die sie nicht weniger sehnsüchtig wartete als auf seinen Kuss.
Bernardo war anders als alle Männer, die ihr bislang begegnet waren – und nichts anderes erwartete sie auch von dem Gefühl, das die Berührung seiner Lippen auslösen würde.
Doch
wie
anders er war, wurde ihr erst so richtig bewusst, als er ihre Hand nahm und an seine Wange schmiegte. “Vielleicht sollten wir …”, begann er unsicher, bevor er wieder verstummte.
“Ja?”
“Vielleicht sollten wir lieber wieder ins Haus gehen”, beendete er den angefangenen Satz. “Die anderen werden sich schon wundern, wo wir abgeblieben sind.”
Angie verwarf den Gedanken, ihn mit ihren bewährten Mitteln von dem Gedanken abzubringen. Was bei anderen Männern mit Sicherheit die erhoffte Wirkung erzielt hätte, war bei Bernardo zum Scheitern verurteilt.
“Du hast sicherlich recht”, stimmte sie ihm zu. “Es ist vielleicht wirklich das Beste, wenn wir wieder ins Haus gehen.”
2. KAPITEL
D er Traum lief jedes Mal nach demselben Muster ab – und das seit mittlerweile zwanzig Jahren.
Der Junge war allein zu Hause und wartete darauf, dass seine Mutter zurückkam, als es plötzlich an der Tür klopfte. Von diesem Moment an war die Welt nicht mehr dieselbe.
Der Junge war niemand anderes als Bernardo selbst, und doch schien es sich im Traum um einen Dritten zu handeln, dessen Gefühle und Gedanken er im Voraus kannte, ohne sie ihm ersparen zu können.
Denn noch wusste der Junge nicht, dass seine Mutter nicht kommen würde, weil sie gemeinsam mit seinem Vater in dessen Auto in eine Schlucht gestürzt war.
Wie in einem Film folgte an dieser Stelle ein Schnitt, und das nächste Bild zeigte den Jungen, der sich über den Leichnam seiner Mutter beugte und sich und ihr schwor, ihren Namen und ihren Ruf von dem Schmutz zu befreien, den die Dorfbewohner über sie ausgeschüttet hatten.
Prostituta
hatten sie Marta Tornese hinter ihrem Rücken genannt, weil sie ein uneheliches Kind hatte. Ihr es offen ins Gesicht zu sagen hatten sie nur deshalb nicht gewagt, weil der Vater des Kindes ein einflussreicher Mann war, dessen Rache sie fürchteten. An ihrer Meinung über sie konnte jedoch auch das nichts ändern.
In dieser Sekunde hatte der Junge seiner toten Mutter versprochen, ein ebenso mächtiger Mann wie Vincente Martelli zu werden und die Dorfbewohner notfalls zu zwingen, ihr Andenken in Ehren zu halten. Doch zu seinem bitteren Leidwesen hatte er sehr bald einsehen müssen, dass dieser Schwur an eine Reihe von Bedingungen geknüpft war, die er unmöglich erfüllen konnte.
Das nächste Bild zeigte ihn, wie er aus einem Versteck den fremden Stimmen zuhörte, die hitzig darüber stritten, was aus ihm werden sollte. Um allein zu leben, war er mit seinen zwölf Jahren noch zu jung, und das Haus hatte ohnehin dem Liebhaber seiner Mutter gehört, an dessen Familie es mit seinem Tod fiel. Der Junge meinte verstehen zu können, dass er ein
bastardo
war, der in ein Heim gehörte.
Wieder klopfte es an der Tür, und wieder eröffnete sich eine neue Welt – dieses Mal in Gestalt einer schönen und doch zerbrechlich wirkenden Frau, die kaum älter als Mitte vierzig war. Sie schien ebenso traurig wie der Junge zu sein, und doch lächelte sie ihn an und forderte ihn liebevoll auf, mit ihr zu kommen.
Signora Baptista Martelli, die betrogene Ehefrau seines Vaters, hatte allen Grund, ihn zu hassen. Stattdessen war sie entschlossen, ihn in ihre Familie aufzunehmen und zu behandeln wie ihr eigen Fleisch und Blut.
Obwohl er sich viel zu alt dafür empfand, brach der Junge in Tränen aus. Die Scham darüber verhinderte es, ihr zu erklären, dass er ein Zuhause hatte und ein neues weder wollte noch brauchte. Hilflos musste er über sich ergehen lassen, dass ihm
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