Happy End in Virgin River
beschäftigen können. Sie saß in dem kleinen Wohnzimmer in diesem Waldhaus, hatte das Gefühl, alle Welt würde sie beobachten, und der Fernseher war unscharf, weil Mel und Jack sich nie in die Mühe gemacht hatten, einen Satellitenempfänger zu besorgen. Also schaltete sie das Licht aus und entkleidete sich im Dunkeln, um zu Bett zu gehen. Sie zog sich einen zwar leichten, aber alles verbergenden Schlafanzug über und erinnerte sich sehnsüchtig an die Zeit, als sie noch selbstsicher und angstfrei nackt hatte schlafen können. Und obwohl es nicht einmal acht Uhr war, legte sie sich tatsächlich ins Bett. Ihr Herz schlug viel zu schnell, und sie versuchte es wieder damit, sich selbst Mut zuzureden: Da draußen ist niemand, der dir etwas antun will. Du bist weit weg im Wald, und niemand weiß, dass du hier bist.
Brie lag auf dem Rücken, hatte die Arme vor der Brust verschränkt, die Waffe neben sich auf dem Nachttisch. Sie zwang sich, die Augen eine Minute lang fest geschlossen zu halten, dann zwei Minuten und dann drei Minuten, wenn sie es schaffte. Es schien ewig zu dauern, bis ihr Puls langsamer schlug und sie ein wenig entspannte; jedes Geräusch, das der Wind verursachte, ließ sie zittern. Wenn ich es nur eine Nacht lang schaffe, werde ich es auch eine zweite Nacht können, sagte sie sich. Immer wieder sah sie auf die Uhr, die auf dem Nachttisch stand – acht Uhr fünfzehn, acht Uhr dreißig, acht Uhr fünfundvierzig.
An irgendeinem Punkt schlummerte sie ein wenig ein, nur um wenig später erschrocken wieder hochzufahren. Sie rang nach Luft, setzte sich im Bett gerade auf und merkte, wie sie schwitzte, keuchte, wie ihr Herz hämmerte. Sie griff nach der Waffe und hielt sie vor sich, wobei sie auf die Schlafzimmertür zielte. Angestrengt lauschte sie. Sie hörte eine Art Pfeifen und ein leises Stöhnen; es war der Wind in den Kiefern. Auch hörte sie einen leicht gedämpften Ton aus Davids Zimmer, daher stieg sie aus dem Bett, die Waffe in der Hand, die Mündung zur Decke gerichtet, und schlich hinüber, um sicherzustellen, dass dort niemand war. David drehte sich im Schlaf um und kuschelte sich träumend ins Kissen.
Oh Gott, dachte sie. Mit einer geladenen Waffe schleiche ich um meinen kleinen Neffen herum! Die Tränen schossen ihr in die Augen. Ich bin schon ein echter Psycho.
Sie ging in die dunkle Küche, nahm das Telefon und rief Mike an. Als er abnahm, stieß sie in einem Atemzug hervor: „Entschuldige. Ich habe Angst.“
„Was ist los?“, fragte er alarmiert.
„Nichts. Nicht dass ich wüsste. Die Türen sind verschlossen, ich habe das Haus durchsucht, aber ich schleiche hier mit einer geladenen Waffe in der Hand herum. Ich bin komplett durchgeknallt.“
„Kannst du bitte die Waffe hinlegen“, sagte er ruhig. „Ich bin in zehn Minuten bei dir.“
„Okay“, antwortete sie mit bebender Stimme, wobei sie das Gefühl überkam, irgendwie versagt zu haben. Versagt gegenüber ihrem Bruder und Mel, sich selbst gegenüber.
„Bitte, leg sie aus der Hand. Ich bin gleich da.“
„Okay“, wiederholte sie. Aber sie legte sie nicht weg. Sie rutschte an der Schrankwand nach unten auf den Küchenboden und blieb dort an den Eckschrank gelehnt sitzen, von wo aus sie den restlichen Teil der Küche überschauen konnte. Sollte sich ihr jemand nähern, würde sie auf ihn schießen können. Dann dachte sie: Mein Gott, wie gut, dass David nicht laufen kann! Im Augenblick würde ich auf alles schießen, was sich bewegt; ich bin verrückt genug, grundlos loszuballern, und ein Querschläger könnte das Baby verletzen oder sogar töten! Sie versuchte ihren Finger entspannt an den Lauf zu legen, weg vom Abzug, und wiederholte in Gedanken den Satz: Nicht , solange du nicht sicher bist. Tue es nicht .
Zehn Minuten sind eine Ewigkeit, wenn man Angst hat. Und es gibt nichts Schlimmeres als Angst, ob nun mit Grund oder ohne. Durch das Adrenalin hatte sie einen metallischen Geschmack im Mund, und ihr Puls schlug gefährlich schnell. Endlich, nach einer Zeit, die ihr wie eine Stunde vorkam und in der ihre Fingerknöchel weiß geworden waren, weil sie ihre Waffe so angestrengt festgehalten hatte, hörte sie Motorengeräusch, als ein Auto auf die Lichtung fuhr, und dann ein leises Hupen, mit dem Mike ihr signalisieren wollte, dass er es war.
Sie zog sich hoch und stand auf, legte die Waffe auf den Küchentresen und schloss die Haustür auf. Dann sah sie ihn dort stehen, mit seiner schweren Wildlederjacke und einer
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