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Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Titel: Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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installierte und Schaufenster illuminierte, muss die Welt voll gewesen sein von solchen Dunkelheiten.
    Die Kleine stieg als Erste die Leiter hinab. Das Gerät zur Abschreckung der Schwärzlinge in einer der tiefen Taschen ihres Regenmantels verstaut, stieg sie, den Riemen ihrer großen Handlampe schräg über die Schultern geschlungen, geschwind allein in die Finsternis hinab; die Sohlen ihrer Gummistiefel quietschten. Nach einer Weile drang von unten ihre Stimme durch das Wasserrauschen: »Alles in Ordnung, komm runter!« Dann schwenkte sie das gelbe Licht. Diese Hölle kam mir tiefer vor, als ich sie in Erinnerung hatte. Ich steckte die Taschenlampe ein und begann den Abstieg. Die Sprossen der Leiter waren so feucht wie zuvor, man musste Acht geben, nicht abzurutschen. Beim Abstieg musste ich die ganze Zeit an das Pärchen in dem Nissan Skyline und an die Musik von Duran Duran denken. Die wussten von nichts. Hatten keine Ahnung, dass ich gerade mit einer Taschenlampe und einem großen Messer in die Finsternis hinabstieg, eine Hand auf meine Wunde gepresst. Die hatten nur das Tachometer im Kopf und harmlose Popsongs, die auf den Charts ganz oben standen oder wieder fielen, und dachten an den Sex, den sie haben würden, oder erinnerten sich an den, den sie gehabt hatten. Nicht, dass ich sie kritisieren wollte. Sie hatten bloß keine Ahnung.
    Wenn ich selbst von nichts wüsste, könnte ich mir das Ganze hier ebenfalls sparen. Ich stellte mir vor, hinter dem Steuer des Skyline zu sitzen, neben mir die Frau, und zu der Musik von Duran Duran durch die nächtliche Stadt zu rauschen. Ob die Frau beim Sex wohl die beiden silbernen Kettchen abnahm? Hoffentlich nicht, dachte ich. Die Kettchen müssten, nachdem sie sich ausgezogen hatte, ihr linkes Handgelenk umschließen, als gehörten sie zu ihrem Körper.
    Doch wahrscheinlich legte sie sie ab. Frauen legen unter der Dusche immer alles Mögliche ab. Ich müsste also vor dem Duschen mit ihr schlafen. Oder sie darum bitten, die Kettchen nicht abzulegen. Was von beidem besser wäre, wusste ich nicht, aber auf jeden Fall würde ich sie dazu bringen müssen, die Kettchen anzubehalten. Das wäre ganz wichtig.
    Ich stellte mir vor, wie ich mit der Frau, die ihre Kettchen trug, schlief. Da ich mich beim besten Willen nicht an ihr Gesicht erinnern konnte, löschte ich das Licht im Zimmer. Es ist also dunkel, ihr Gesicht nicht gut zu sehen. Nachdem ich ihre fliederfarben oder weiß oder hellblau schimmernden Dessous ausgezogen habe, sind die Kettchen das Einzige, was sie noch anhat. Sie glitzern im Dunkeln ein bisschen; auf den Laken verursachen sie ein feines, angenehmes Klingeln.
    Während ich mit diesen Gedanken im Kopf die Sprossen hinabstieg, spürte ich, wie sich unter dem Regenmantel mein Penis versteifte. Großartig, dachte ich. Warum denn ausgerechnet jetzt, auf dieser verdammten Leiter? Warum nicht, als ich mit der Bibliothekarin – dem Mädchen mit der Magenerweiterung – im Bett lag? Was doch zwei läppische Silberkettchen zustande bringen konnten. Und das zu einer Zeit, wo die Welt sich anschickte unterzugehen.
    Als ich am Fuß der Leiter auf der Felsplatte stand, leuchtete das Mädchen mit seiner Lampe die Umgebung ab.
    »Die Schwärzlinge treiben sich hier herum, ganz sicher«, sagte es. »Man hört sie.«
    »Man hört sie?«
    »Ein feines Klatschen wie von Kiemenschlägen. Leise nur, aber wenn man aufpasst, hört man es. Dazu die ganze Atmosphäre und der Geruch.«
    Ich spitzte die Ohren und schnüffelte, hörte und roch aber nichts.
    »Man muss sich daran gewöhnen«, sagte das Mädchen.
    »Dann hört man sogar heraus, dass sie sich unterhalten. Das heißt, eigentlich sind es eher Schallwellen. Wie bei Fledermäusen. Im Unterschied zu Fledermäusen liegt aber ein Teil der Frequenzen im Hörbereich des Menschen. Die Schwärzlinge können sich untereinander richtig verständigen.«
    »Wie haben denn die Semioten mit denen Kontakt aufgenommen? Dazu bedarf es doch der Sprache!«
    »Man muss ein Gerät bauen, das lässt sich machen. Eines, das die Schallwellen der Schwärzlinge in Stimmen transformiert und die Sprache der Menschen in Schallwellen. Die Semioten werden eins gebaut haben. Meinem Großvater wäre das auch ein Leichtes gewesen, aber dann hat er doch darauf verzichtet.«
    »Warum denn?«
    »Weil er nicht mit ihnen reden wollte. Die Schwärzlinge sind schlecht, und was sie sagen, ist schlecht. Sie fressen Aas und modrigen Müll und saufen Abwasser. Früher

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