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Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Titel: Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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nicht so sehr beschädigt, dass sie unbrauchbar geworden wären. Ohne Regenmantel würde man unter dem Wasserfall bis auf die Knochen nass und halb erfrieren. Und halb erfroren würde meine Wunde wieder zu schmerzen anfangen. Danach steckte ich noch ihre herumliegenden rosafarbenen Joggingschuhe in den Rucksack. Die Ziffern meiner Digitaluhr würden bald auf 12 Uhr Mitternacht springen. Die Frist zur Löschung des Programms würde dann noch genau zwölf Stunden betragen.
    »Es folgen ziemlich komplexe Berechnungen. Stromvolumen, Schmelzgeschwindigkeit, Widerstands- und Fehlerwerte, solches Zeug. Ich verstehe es nicht.«
    »Überschlag, was du nicht verstehst. Wir haben nicht mehr viel Zeit«, sagte ich. »Lies nur, was du entziffern kannst.«
    »Da gibt es nichts zu entziffern.«
    »Wieso?«
    Sie reichte mir das Notizbuch und zeigte mit dem Finger auf die betreffende Stelle. Dort stand kein Kode, nichts, nur ein riesiges X, Datum und Uhrzeit. Die Unausgewogenheit zwischen diesem übermäßig großen X und den anderen Zahlen und Buchstaben, die ohne Lupe kaum zu identifizieren waren, verstärkte noch den ominösen Eindruck, den es vermittelte.

    »Es soll das Ende der Frist bedeuten, nehme ich an«, sagte das Mädchen.
    »Oder und wahrscheinlicher: Schritt 4. Wenn in Schritt 3 das Programm gelöscht wird, tritt X nicht auf. Wenn es aber aus welchen Gründen auch immer nicht gelöscht werden kann, arbeitet das Programm weiter – bis zu diesem X.«
    »Wir müssen meinen Großvater also unter allen Umständen bis zum 2. Oktober, 12.00 Uhr mittags ausfindig machen, nicht wahr?«
    »Falls meine Vermutung richtig ist, ja.«
    »Ist deine Vermutung richtig?«
    »Wahrscheinlich«, sagte ich leise.
    »Wie viel Stunden haben wir noch?«, fragte das Mädchen. »Bis zu diesem Weltuntergang oder Big Bang oder was weiß ich?«
    »Sechsunddreißig Stunden«, sagte ich. Auf die Uhr zu sehen war nicht notwendig. Die Zeit, die die Erde für anderthalb Umdrehungen braucht. Die Zeit, in der einem zwei Morgen- und eine Abendausgabe der Zeitung zugestellt werden. Zeit für zweimal Weckerschrillen, zweimal rasieren. Das sind 36 Stunden. Wenn der Mensch 70 Jahre alt wird: 1/17033stel seiner Lebenszeit. Wenn diese 36 Stunden abgelaufen sind, kommt – wahrscheinlich das Ende der Welt.
    »Und was machen wir jetzt?«, fragte das Mädchen.
    Aus dem Erste-Hilfe-Kasten, der vor dem Spind zu Boden gefallen war, fischte ich eine Schmerztablette, nahm sie mit einem Schluck Wasser aus der Thermosflasche ein und schulterte den Rucksack.
    »Wir steigen runter – was sonst?«, sagte ich.

20  DAS ENDE DER WELT
DAS STERBEN DER TIERE
    Ein paar von ihnen sind schon verendet. Am Morgen nach dem ersten richtigen Schnee liegen die mit winterweißem Fell durchsetzten goldenen Körper einiger alter Tiere unter einer fünf Zentimeter dicken Schneedecke. Die Morgensonne bricht durch die aufreißende Wolkendecke und lässt die eisstarre Landschaft hell erstrahlen. Weiß tanzt der Atem der über tausendköpfigen Herde im Licht.

    Ich wache noch vor Tagesanbruch auf und finde die Stadt in ihrem schneeweißen Kleid vor. Ein überwältigender Anblick. Aus der weißen Landschaft erhebt sich schwarz der Uhrturm, darunter schlängelt sich der dunkle Gürtel des Flusses. Die Sonne ist noch nicht aufgegangen, der Himmel verhangen von einer dicken Wolkendecke. Ich ziehe mir Mantel und Handschuhe an und gehe die menschenleeren Straßen zur Stadt hinunter. Lautlos muss der Schnee gefallen sein, während ich schlief. Noch ist keine einzige Fußspur zu sehen. Ich hebe eine Hand voll Schnee auf. Er fühlt sich weich und locker an, wie Puderzucker. Einige Stellen stehenden Wassers entlang des Flussufers sind zugefroren, die dünne Eisschicht ist mit Schnee bestäubt.
    Außer meinem weißen Atem bewegt sich nichts in der Stadt. Es geht kein Wind, nicht einmal einen Vogel sehe ich. Nur meine Schritte im Schnee hallen unnatürlich laut von den Häuserwänden wider, wie mit Synthesizern verstärkt.
    Auf dem Platz vor dem Tor sehe ich den Wächter. Er liegt unter dem Wagen, den er vor einiger Zeit mit meinem Schatten zusammen repariert hat, und schmiert die Achsen. Der Wagen ist mit Keramikkrügen beladen, wie man sie zur Aufbewahrung von Rapsöl braucht. Sie sind mit Seilen an den Sparren festgebunden, damit sie nicht umfallen. Wozu der Wächter solche Mengen Öl brauchen könnte, ist mir ein Rätsel.
    Er streckt den Kopf unter dem Wagen hervor und hebt die Hand zum Gruß. Er

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