Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Titel: Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
Vom Netzwerk:
und in den Bach ergoss. An den Ufern wuchs Moos, dicht und feucht, wie Schlamm. Es war von beinahe unnatürlich frischem Grün. Wieso unterirdisches Moos, das ja keine Fotosynthese vollziehen konnte, eine solche Farbe annehmen konnte, war mir ein Rätsel. Unter der Erde herrschten offenbar andere Gesetze.
    »Sag mal, glaubst du, die Schwärzlinge wissen, dass wir jetzt hier entlanglaufen?«
    »Natürlich«, sagte die Dicke ganz ruhig. »Das ist ihr Zuhause. Unter der Erde gibt es nichts, von dem sie nichts wüssten. Die sind überall um uns herum und beobachten uns. Ich hör sie schon die ganze Zeit.«
    Ich richtete meine Taschenlampe auf die Felsen ringsum, sah aber nichts außer rauem, bizarr geformtem Fels und Moos.
    »Sie lauern in den Höhlen und hinten in den Abzweigungen, wo das Licht nicht hinreicht«, sagte sie. »Hinter uns dürften auch welche sein.«
    »Wie lange läuft das Signalgerät schon?«, fragte ich.
    »Zehn Minuten«, sagte sie nach einem Blick auf ihre Armbanduhr. »Zehn Minuten und zwanzig Sekunden. Keine Sorge, in fünf Minuten sind wir am Wasserfall.«

    Genau fünf Minuten später standen wir am Wasserfall. Er machte wie zuvor fast keinen Lärm, der Dephonator schien noch in Betrieb zu sein. Wir stülpten die Kapuzen über, zurrten die Riemen unter dem Kinn fest, setzten die Schutzbrillen auf und durchquerten den stillen Fall.
    »Komisch«, sagte das Mädchen. »Der Dephonator funktioniert, das Labor kann demnach nicht zerstört sein. Wenn die Schwärzlinge hier eingedrungen wären, hätten sie alles in Stücke gerissen. Die hassen das Labor nämlich wie die Pest.«
    Wie zur Bestätigung dieser Vermutung stand die Labortür fest verschlossen. Wenn die Schwärzlinge eingedrungen wären, hätten sie beim Verlassen wohl kaum wieder ordentlich abgeschlossen. Nein – hier hatte jemand anders einen Überraschungsangriff gestartet.
    Das Mädchen bediente sehr bedächtig das Zahlenschloss an der Tür und machte sie dann mit dem elektrischen Schlüssel auf. Im Labor war es dunkel und kühl, und es roch nach Kaffee. Das Mädchen schloss rasch die Tür, schob den Riegel vor und knipste, nachdem es sich davon überzeugt hatte, dass die Tür fest verschlossen war, das Licht an.
    Das Labor befand sich in etwa demselben außerordentlichen Zustand, in den das Büro oben und meine Wohnung versetzt worden waren. Papiere flogen auf dem Boden herum, das Mobiliar war umgestürzt, das Geschirr zerschmettert, der Teppich herausgerissen, und über allem hatte man einen ganzen Eimer Kaffee ausgegossen. Warum sich der Professor so viel Kaffee hätte kochen sollen, war mir nicht klar. Eine solche Menge hätte selbst ein ausgemachter Kaffeenarr nicht trinken können.
    Im Vergleich zum Büro oben und zu meiner Wohnung gab es hier aber einen fundamentalen Unterschied: Man hatte sorgfältig zwischen zu Zerstörendem und nicht zu Zerstörendem unterschieden. Was zerstört werden sollte, hatte man restlos zerstört, alles andere aber nicht einmal angerührt. Die Computer und Übermittlungsgeräte, der Dephonator und die Generatoren waren unangetastet geblieben, sie funktionierten beim Einschalten reibungslos. Nur der große Schallwellensender zur Abschreckung der Schwärzlinge, aus dem man ein paar Teile herausgerissen hatte, war nicht funktionstüchtig; das ließ sich aber offensichtlich leicht beheben.
    Das hintere Zimmer bot ein ähnliches Bild: Hoffnungsloses Chaos auf den ersten Blick, tatsächlich aber bis ins Kleinste berechnet. Die Schädelknochen auf den Regalen waren vollkommen unversehrt, ebenso alle wichtigen Messwerkzeuge. Nur billige, leicht zu ersetzende Geräte und Labormaterialien hatte man möglichst barbarisch zertrümmert.
    Die Kleine sah im Wandtresor nach. Er war nicht verschlossen. Mit beiden Händen holte sie hervor, was von den Papieren übrig war, einen Haufen weißer Asche, und verstreute sie auf dem Boden.
    »Die Notautomatik hat funktioniert, wie’s scheint«, sagte ich. »Mitnehmen konnten die nichts.«
    »Was meinst du, wer das gemacht hat?«
    »Das waren Menschen«, sagte ich. »Die Semioten oder weiß der Teufel wer haben sich mit den Schwärzlingen zusammengetan, sind hierher und haben aufgemacht; aber dieses Tohuwabohu haben Menschen veranstaltet, eingedrungen sind nur sie. Um das Labor zu eigenen Zwecken zu nutzen – um die Forschungen des Professors fortzuführen, nehme ich an –, haben sie die wichtigen Geräte verschont. Und hinterher, damit die Schwärzlinge nicht alles

Weitere Kostenlose Bücher