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Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Titel: Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Metapher zu gebrauchen, eine Enzyklopädie, von der täglich eine revidierte Auflage erscheint. Das sind die beiden Probleme, die es zu überwinden gilt, wenn man die Psychostruktur des Menschen stabilisieren will.«
    »Probleme?«, sagte ich. »Probleme sind das? Ist es nicht eher ganz normales menschliches Verhalten?«
    »Langsam, langsam«, sagte der Professor besänftigend. »So kommen wir in theologisches Fahrwasser. Determinismus, Fatalismus. Ist alles Handeln des Menschen von Gott vorherbestimmt oder entscheidet der Mensch alle seine Handlungen nach freiem Willen? Die Wissenschaft betont seit der Moderne die physiologische Spontaneität des Menschen. Auf die Frage, was freier Wille denn eigentlich sei, gibt allerdings niemand eine befriedigende Antwort. Warum? Weil niemand das Geheimnis der Elefantenfabrik in uns begreift. Freud und Jung haben diverse Theorien veröffentlicht, aber das sind letztlich nichts als terminologische Prägungen, die lediglich erlauben, über dieses Phänomen sprechen zu können. Das ist einfacher geworden, gewiss, doch wird dadurch eine Bestimmung der menschlichen Spontaneität geliefert? Keineswegs. Aus meiner Sicht hat man die Psychologie lediglich scholastisch eingefärbt.«
    Hier gab der Professor wieder sein dröhnendes Lachen zum besten. Das Mädchen und ich warteten geduldig, bis er fertig war.
    »Ich bin im Grunde Pragmatiker«, fuhr der Professor fort. »Gott, was Gottes, und dem Kaiser, was des Kaisers ist, um ein altes Wort zu gebrauchen. Die Metaphysik ist praktisch semiotischer Small Talk. Davon kann man sich betören lassen, wenn man die in fest abgesteckten Bereichen wartenden Berge von Arbeit erledigt hat. Zum Beispiel unser Black-Box-Problem. Es genügt, die Box Box sein zu lassen, sie sich nur als Box zunutze zu machen. Zu lösen sind dabei allerdings«, sagte der Professor und hob seinen Zeigefinger, »die beiden Probleme, die ich eben erwähnte. Das eine ist der Zufallscharakter von Oberflächenhandlungen, das andere die sich mit jeder neuen Erfahrung vollziehende Veränderung der Black Box. Das sind keine Kleinigkeiten. Es handelt sich nämlich, wie Sie eben richtig sagten, um für den Menschen ganz alltägliches Handeln. Der Mensch macht sein Leben lang Erfahrungen, jede Minute, jede Sekunde häufen sie sich an. Wenn man das unterbinden wollte, könnte man ebenso gut sein Todesurteil unterzeichnen.
    Was wäre aber, lautete meine Überlegung, wenn man die Black Box eines Menschen zu einem gegebenen Zeitpunkt fixierte? Beliebigen Veränderungen danach stünde nichts entgegen. Die zu dem bewussten Zeitpunkt gegebene Black Box aber wäre stabil und könnte jederzeit in ihrer fixierten Form aufgerufen werden. Eine Art time freezing. «
    »Moment, bitte!«, sagte ich. »Das wäre also die Implantation einer zweiten Psychostruktur, nicht wahr?«
    »Ganz recht, ganz recht«, sagte der Alte. »Sie haben völlig Recht. Sie begreifen schnell, ich habe es nicht anders erwartet. Sie haben ganz Recht. Permanent besteht die Struktur A. Auf einer anderen Ebene verwandelt sie sich ununterbrochen, A’, A’’, A’’’ … In die rechte Hosentasche steckt man eine Uhr, die nicht mehr geht, in die linke eine, die funktioniert. So in etwa. Welche man wann befragt, erfolgt nach Belieben. Damit wäre das eine Problem vom Tisch.
    Das zweite lässt sich nach demselben Prinzip lösen. Man schaltet nur auf der Oberflächenebene der ursprünglichen Psychostruktur A die Fakultativität aus. Verstehen Sie?«
    Ich verneinte.
    »Man trägt die Oberfläche ab, so wie der Zahnarzt Schmelz entfernt. Nur die zentralen Faktoren, nur das, was man braucht, den Kern des Bewusstseins also, lässt man bestehen. Fehler können dann nicht mehr auftreten. Die oberflächenbefreite Psychostruktur friert man ein und wirft sie in den Brunnen. Plumps, fertig. Das ist die Rohform des Shuffling-Verfahrens. So weit meine Theorie, wie sie bestand, als ich ins System eintrat.«
    »Man muss also am Gehirn operieren.«
    »Das ist unumgänglich«, sagte der Professor. »In Zukunft wird sich dieser Eingriff wohl irgendwann vermeiden lassen. Wahrscheinlich wird man durch eine externe Operation, eine Art Hypnose, den gewünschten Zustand herbeiführen können. Beim heutigen Stand ist das aber noch unmöglich. Das Gehirn muss elektrisch stimuliert werden. Die gegebenen Schaltwege müssen, mit anderen Worten, künstlich verändert werden. Das ist gar nichts Ungewöhnliches. Es entspricht in etwa der Standardprozedur,

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