Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Titel: Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
Vom Netzwerk:
drei Kandidaten übrig. Bei diesen drei schaltete die Weiche auf das Kodesignal hin um, und die eingefrorene ursprüngliche Psychostruktur arbeitete stabil, sie ließ sich effektiv nutzen. Nach einem Monat weiterer Experimente bekamen wir dann grünes Licht.«
    »Kandidaten fürs Shuffeln zu suchen?«
    »Ganz recht. Wir testeten und führten persönliche Gespräche mit beinahe fünfhundert Kalkulatoren, um schließlich sechsundzwanzig psychisch stabile männliche Persönlichkeiten auszuwählen, die zudem ihre Handlungen und Gefühle kontrollieren konnten, die körperlich gesund und noch nie in psychologischer Behandlung gewesen waren. Der Auswahlprozess war ungeheuer aufwendig und kostete viel Zeit. Schließlich gab es Punkte, die allein durch schriftliche Tests und Gespräche nicht zu klären waren. Anschließend legte das System für jeden dieser sechsundzwanzig eine detaillierte Personalakte an, in der alles verzeichnet wurde, was zur Person gehört, Herkunft, schulische Leistungen, Familie, Geschlechtsleben, Ess- und Trinkgewohnheiten, schlichtweg alles. Man legte euch bloß wie die Säuglinge. Sie kenne ich deshalb so gut wie mich selbst.«
    »Eins verstehe ich nicht«, sagte ich. »Soweit ich gehört habe, werden unsere Psychokerne, die Black Boxes also, in der Bibliothek des Systems aufbewahrt. Wie ist das möglich?«
    »Wir sind euren Denkstrukturen bis in die feinsten Verästelungen gefolgt, haben sie simuliert und als zentrale Datenbank konserviert. Sonst wären uns ja, falls euch etwas zustoßen sollte, die Hände gebunden. Eine Art Versicherung.«
    »Ist die Simulation perfekt?«
    »Nein, ganz natürlich nicht, aber das saubere Abtragen der Oberflächenschicht machte vieles leichter, sodass die Simulation funktionell ziemlich nah an die Perfektionsgrenze heranreichte. Im Einzelnen setzt sich das simulierte Modell aus drei zweidimensionalen Koordinatensystemen und einer Holographie zusammen. Mit herkömmlichen Computern ist da natürlich nichts zu machen, aber die jetzige Computergeneration verfügt ja selbst über elefantenfabrikähnliche Elemente und kommt insofern mit solch komplexen mentalen Strukturen zurecht. Es ist, mit anderen Worten, ein Fixationsproblem, doch das zu erklären würde zu lange dauern. Ganz grob und mit einfachen Worten werden die mentalen Prozesse folgendermaßen verfolgt: Zunächst werden wiederholt Patterns der von Ihnen emanierten Gehirnströme in den Computer eingegeben. Diese Patterns weisen jeweils subtile Unterschiede auf, da Sie ja ständig Chips in den Strängen auswechseln und Stränge in den Bündeln. Manche dieser Auswechslungen sind von messbarer Signifikanz, andere nicht. Diese Unterscheidung trifft der Computer. Die nicht signifikanten scheidet er aus, die signifikanten schreibt er als Basispattern fest. Diesen Vorgang wiederholt er wieder und wieder, jeweils in Millionen von Einheiten. So wie Plastikfolie Schicht um Schicht wächst. Sobald kein Zuwachs mehr festzustellen ist, schreibt der Computer das gewonnene Pattern als Black Box fest.«
    »Eine Reproduktion des Gehirns?«
    »Nein, das Gehirn lässt sich nicht reproduzieren. Ich habe lediglich Ihre Psychostruktur auf phänomenologischer Ebene fixiert. Und zwar die Struktur eines gegebenen Zeitpunktes. Hinsichtlich der Flexibilität, die das Gehirn gegenüber Zeitlichkeit aufweist, können wir nur resignieren. Ich bin allerdings noch einen Schritt weitergegangen: Mir ist es gelungen, diese Black Box zu visualisieren.« Der Professor sah mich und seine dicke Enkelin erwartungsvoll an. »Die Visualisierung des Psychokerns! Völliges Neuland! Das hatte noch niemand unternommen – weil es unmöglich war. Ich habe es möglich gemacht. Und wie habe ich das gemacht, was meinen Sie?«
    »Ich habe keine Ahnung.«
    »Ich habe Probanden Gegenstände gezeigt, die bei der visuellen Erfassung als Reaktion freigesetzten Gehirnströme analysiert, in Zahlenwerte transformiert und diese dann in Dots. Zuerst ergaben sich nur grobe Skizzen, doch bei stetiger Kompensation und Verfeinerung zeigte sich schließlich auf dem Computermonitor ein Bild der Dinge, wie es der Proband tatsächlich sah. In Worten lässt sich gar nicht beschreiben, wie unerhört mühsam und zeitaufwendig diese Prozedur war. Grob ging der Vorgang jedoch wie beschrieben vonstatten. Nach unendlich vielen Wiederholungen griff der Computer schließlich das Pattern auf und erzeugte aufgrund der Gehirnstromreaktionen automatisch Bilder. Computer sind wirklich reizende

Weitere Kostenlose Bücher