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Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Titel: Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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wie sie heute bei psychisch bedingter Epilepsie Anwendung findet. Dabei werden die zerebralen Distorsionsströme eliminiert und, äh, soll ich die fachlichen Details nicht lieber weglassen?«
    »Ich bitte darum«, sagte ich. »Die Hauptpunkte genügen.«
    »Kurzum, man errichtet Schaltstellen für die Gehirnströme. Weichen sozusagen. Dort werden Elektroden und Miniaturbatterien implantiert. Auf ein bestimmtes Signal hin werden die Weichen umgestellt.«
    »Das heißt, ich habe jetzt solche Batterien und Elektroden im Gehirn?«
    »Selbstverständlich.«
    »Na großartig!«, sagte ich.
    »Das ist nichts so Besonderes und Schlimmes, wie Sie sich vorstellen. Die Dinger sind nicht einmal erbsengroß, irgendwelche Implantate dieser Größenordnung tragen viele Menschen auf der Welt mit sich herum. Es gibt aber noch einen Punkt, den ich erwähnen muss. Der Schaltkreis der ursprünglichen Psychostruktur, also jener der stehen gebliebenen Uhr, ist blind. Wenn Sie sich dort einklinken, können Sie kognitiv nicht das Geringste ausrichten. Sie wissen dann, mit anderen Worten, weder, was Sie denken, noch, was Sie tun. Das musste so angelegt werden, weil andernfalls die Gefahr bestanden hätte, dass Sie diese Struktur selbst verändern.«
    »Gab es außerdem nicht Probleme durch Abstrahlen, durch Gleißen des von seiner Oberfläche befreiten Psychokerns? Einer Ihrer Mitarbeiter sprach nach meiner Operation davon. Das Gleißen könne unter Umständen das Hirn in Mitleidenschaft ziehen.«
    »Das stimmt. Diesbezüglich waren die Ansichten aber durchaus geteilt. Man konnte nur Vermutungen anstellen. Man hatte so etwas noch nie versucht, man konnte nur spekulieren.
    Sie sprachen eben von menschlichen Versuchskaninchen – wir haben, um die Wahrheit zu sagen, tatsächlich einige Experimente an Menschen durchgeführt. Wir konnten nicht von Anfang an euch Kalkulatoren heranziehen, dazu wart ihr zu wertvoll. Das System hat zehn Leute ausgesucht; die haben wir operiert und anschließend beobachtet.«
    »Was waren das für Leute?«
    »Das hat man uns nicht gesagt. Jedenfalls waren es gesunde junge Männer. Sie durften nicht psychisch krank gewesen sein und mussten einen IQ von 120 oder darüber haben, das war Bedingung. Was sie waren und woher sie kamen, wussten wir nicht. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen. Bei sieben der zehn Probanden arbeitete die Weiche reibungslos. Bei dreien gab es Probleme, entweder, weil die Psychostruktur sich auf nur ein System beschränkte oder weil Mischdenken auftrat. Aber sieben waren okay.«
    »Was passierte mit den Mischdenkern?«
    »Wir haben den Urzustand wieder hergestellt. Niemand wurde geschädigt. Bei den verbliebenen sieben traten dann allerdings während des anschließenden Trainings einige Probleme auf. Zum einen technische, zum anderen Probleme auf Seiten der Probanden. Eins war der Kode zum Aufrufen der Weiche, es gab Fehlleitungen. Zuerst hatten wir als Kode beliebige fünfstellige Zahlenkombinationen ausgegeben; bei ein paar Probanden kam es jedoch zu Weichenumstellungen, wenn sie reinen Traubensaft rochen. Warum, weiß ich nicht. Das zeigte sich, als wir zum Mittagessen einmal Traubensaft ausgegeben hatten.«
    Das dicke Mädchen neben mir kicherte, aber ich fand das gar nicht zum Lachen. Nach meiner Behandlung und Shuffling-Ausbildung hatten mich alle möglichen Gerüche beunruhigt. Beispielsweise das nach Melonen duftende Eau de Parfum des Mädchens, bei dem ich im Kopf Töne zu hören glaube. Wenn sich bei diesem oder jenem Geruch die Psychostruktur umschaltete, wäre das eine Katastrophe!
    »Wir haben das gelöst, indem wir die Zahlen mit besonderen Schallwellen polsterten. Die Reaktion auf gewisse Gerüche ähnelte jener, die die Kodes erzeugten. Ein weiteres Problem war, dass bei manchen Probanden die ursprüngliche Struktur nicht mehr richtig arbeitete. Wir haben das eingehend untersucht und kamen zu dem Schluss, dass in diesen Fällen der Psychokern der Probanden von vornherein qualitativ zu dünn und instabil gewesen war. Die Männer waren gesund und intelligent, doch ihre psychische Identität war nicht ausgebildet, sie hatten keine Persönlichkeit. Umgekehrt kam auch mangelnde Selbstbeherrschung vor. Die psychische Identität war da, doch nicht so weit strukturiert, dass man sie hätte einsetzen können. Es ergab sich, mit einem Wort, dass man nicht einfach irgendwen operieren und ihm das Shuffeln beibringen kann, sondern dass eine gewisse Eignung vorliegen muss.
    Am Ende blieben

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