Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt
weitergeht, wird es über kurz oder lang von denen nur so wimmeln. Das brächte mich allerdings in Schwierigkeiten.«
»Zweifellos«, sagte ich. Ich hatte keine Ahnung, wer oder was die Schwärzlinge waren, aber wenn die Semioten sich mit irgendeiner Macht verbündet haben sollten, dann hätte das auch für mich äußerst unangenehme Folgen. Wir und die Semioten standen in einem ohnehin nur sehr notdürftig austarierten Konkurrenzverhältnis, bei der geringsten Erschütterung konnte alles über den Haufen geworfen werden. Die Balance war allein schon dadurch nicht mehr gegeben, dass wir von den Schwärzlingen nichts wussten, die anderen aber wohl. Vielleicht hatte aber auch nur ich, ein kleiner Kalkulator, der selbständig vor Ort arbeitete, von den Schwärzlingen keine Ahnung, und die Führung wusste das alles schon seit langem.
»Nun ja, wie auch immer«, sagte der alte Herr. »Wenn es Ihnen recht ist, würde ich gern gleich mit der Arbeit beginnen.«
»Jederzeit«, sagte ich.
»Ich hatte die Agentur gebeten, mir den fähigsten Kalkulator zu empfehlen, und die Wahl fiel auf Sie. Man hat Sie allenthalben gelobt. Sie seien technisch beschlagen, hätten Courage und arbeiteten gewissenhaft. Abgesehen von mangelndem Teamgeist gäbe es nichts auszusetzen.«
»Verbindlichsten Dank«, sagte ich. Aus reiner Bescheidenheit.
»Hohoho«, dröhnte der alte Herr wieder. »Aber der Teamgeist ist schnurz. Auf die Courage kommt es an. Ohne Courage kann man kein erstklassiger Kalkulator werden. Nun, dafür beziehen Sie ja auch ein gutes Gehalt.«
Ich hatte darauf nichts zu entgegnen und hielt den Mund. Der alte Herr lachte wieder und führte mich dann in das benachbarte Arbeitszimmer.
»Ich bin Biologe«, sagte er. »Aber mein Arbeitsbereich umfasst viel mehr, mit dem bloßen Wort Biologie lässt sich das kaum umreißen. Er erstreckt sich von der Hirnphysiologie über die Akustik und Linguistik bis hin zur Religionswissenschaft. Meine Arbeiten sind, wenn ich das sagen darf, originär und eminent bedeutsam. Zurzeit beschäftige ich mich hauptsächlich mit dem Palatum von Säugetieren.«
»Palatum?«
»Gaumen und Mund. Die Architektonik des Mundes. Wie bewegt er sich, wie wird artikuliert und so weiter. Darüber forsche ich. Schauen Sie sich doch das mal an.« Er betätigte einen Wandschalter, im Arbeitszimmer flammte das Licht auf. Die ganze Stirnwand wurde von einem Regal eingenommen, auf dem dicht an dicht Schädelknochen von allen nur denkbaren Säugetieren lagen. Von der Giraffe zum Pferd zum Panda zur Maus, Schädel von allen Säugetieren, die ich nur benennen konnte, lagen dort. Bestimmt drei- oder vierhundert. Natürlich auch Menschenschädel. Schädel von Weißen und Schwarzen, von Asiaten und Indios, jeweils ein männlicher und ein weiblicher.
»Die Wal- und Elefantenschädel habe ich im Keller. Die nehmen, wie Sie sich denken können, ziemlich viel Platz weg«, sagte der Alte.
»Weiß Gott«, sagte ich. Bei zwei Walschädeln wäre der Raum ohne Zweifel voll.
Alle Schädel hatten wie auf Verabredung das Maul weit aufgesperrt, und jeder starrte aus zwei leeren Höhlen auf die gegenüberliegende Wand. Es waren zu Forschungszwecken präparierte Exemplare, gewiss, doch besonders angenehm war es nicht, von so vielen Schädeln umgeben zu sein. Auf einem anderen Regal stand ein ganzes Spalier von in Formaldehyd eingelegten Zungen, Ohren, Lippen und Kehlköpfen, wenn auch nicht in der Anzahl der Schädel.
»Eine schöne Sammlung, finden Sie nicht?«, sagte der Alte zufrieden. »Manche sammeln Briefmarken, manche Schallplatten. Andere legen sich einen Weinkeller an, ein Krösus stellt sich womöglich Panzer in den Garten. Ich sammle Schädel. Die Welt ist bunt. Und gerade das macht sie interessant. Finden Sie nicht?«
»Doch, doch«, sagte ich.
»Ich hatte schon in verhältnismäßig jungen Jahren ein nicht unbeträchtliches Interesse an Säugetierschädeln und habe eifrig gesammelt. Na, warten Sie, seit bald vierzig Jahren jetzt. Einen Schädel zu begreifen dauert wesentlich länger, als man denkt. Einen Menschen aus Fleisch und Blut zu verstehen ist ein Kinderspiel dagegen. Das meine ich ganz ernst. Wenn man allerdings so jung ist wie Sie, interessiert man sich mehr fürs Fleisch, nicht wahr?«, sagte der Alte und lachte wieder dröhnend. »Ich habe volle dreißig Jahre gebraucht, bis ich die Töne hören konnte, die von den Schädeln ausgehen. Dreißig Jahre, mein Freund, das ist keine Kleinigkeit!«
»Töne?«,
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