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Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Titel: Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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vor). Im Diagramm sieht das folgendermaßen aus:

    Wenn, mit anderen Worten, die gezackten Flächen nicht nahtlos zusammenpassen, ist es unmöglich, die ermittelten Zahlen in die Originaldaten zurückzuverwandeln. Die Semioten versuchen allerdings, gehackte Daten mittels temporärer Überbrückung zu entziffern: Sie reproduzieren die analysierten Zahlenwerte als Zackenhologramm. Manchmal funktioniert das, manchmal nicht. Wenn wir unsere Technik verfeinern, verfeinern sie ihre Gegentechnik. Wir schützen Daten, sie entwenden sie. Das klassische Räuber-und-Gendarm-Spiel.
    Die Semioten geben die illegal gewonnenen Daten hauptsächlich an den Datenschwarzmarkt weiter, wo riesige Gewinne erzielt werden. Die wertvollsten Daten, das ist der schlimmste Fall, halten sie jedoch zurück, um sie gewinnbringend für ihre eigene Organisation einzusetzen.
    Unsere Organisation wird allgemein Das System genannt, die der Semioten nennt man Die Fabrik. Das System war ursprünglich ein Konglomerat privater Firmen, das aber mit zunehmender Bedeutung halbstaatlichen Charakter annahm. Strukturell ist es der amerikanischen Bell Company nicht unähnlich. Die einzelnen Kalkulatoren arbeiten allein und auf selbständiger Basis, wie Steuerberater oder Rechtsanwälte, benötigen aber eine staatliche Lizenz und dürfen nur vom System oder von anerkannten Agenturen vermittelte Aufträge annehmen. Das ist eine Maßnahme zum Schutz vor Missbrauch durch die Fabrik, bei Zuwiderhandlung werden Disziplinarstrafen vergeben und die Lizenz entzogen. Ob diese Maßnahme aber in jedem Fall richtig ist, wage ich zu bezweifeln. Kalkulatoren, die ihre Lizenz verloren haben, werden nämlich meist von der Fabrik absorbiert, das heißt tauchen als Semioten in den Untergrund ab.
    Die Struktur der Fabrik kenne ich nicht. Sie ist aus einem Kleinunternehmen entstanden, das rasend schnell expandierte. Manche bezeichnen die Fabrik auch als »Datenmafia«, und tatsächlich ist eine gewisse Ähnlichkeit mit der Mafia insofern gegeben, als sie mit einer Vielzahl verschiedener Untergrundorganisationen verwoben ist. Der Unterschied zur Mafia liegt darin, dass die Fabrik ausschließlich mit Daten handelt. Daten sind sauber und bringen Geld. Die Fabrik überwacht zielgerichtet Computer und zapft sie an.

    Ich wusch die Zahlen; dabei trank ich die ganze Kanne Kaffee. Eine Stunde arbeiten, eine halbe Stunde pausieren – das ist Vorschrift. Andernfalls greifen das linke und das rechte Hirn nicht exakt ineinander, und die Zahlenwerte geraten durcheinander.
    In den halbstündigen Pausen unterhielt ich mich mit dem Alten über Gott und die Welt. Sprechen, egal über was, ist die beste Methode, das müde Hirn zu regenerieren.
    »Was sind denn das für Zahlen?«, fragte ich.
    »Labormessungen«, sagte der Alte. »Die Ergebnisse einjähriger Forschungsarbeit. Arithmetisch transformierte dreidimensionale Darstellungen des Volumens von Schädeln und Mundhöhlen, verbunden mit einer Dreifaktorenanalyse der emanierten Töne. Ich sagte eben, dass ich dreißig Jahre brauchte, bis ich die von den Schädeln ausgehenden Töne hören konnte: Wenn ich mit den Berechnungen fertig bin, werden wir in der Lage sein, die Töne nicht empirisch, sondern theoretisch zu extrahieren.«
    »Und sie also künstlich zu kontrollieren?«
    »Genau«, sagte der Alte.
    »Künstliche Kontrolle, was brächte das mit sich?«
    Der Alte leckte sich die Oberlippe und sagte eine Weile nichts. »Alles Mögliche«, fuhr er dann fort. »Das brächte alles Mögliche mit sich. Ich kann es Ihnen nicht mitteilen, aber es brächte Dinge mit sich, von denen Sie sich nichts träumen lassen.«
    »Zum Beispiel könnte man den Ton wegnehmen?«, fragte ich.
    »Treffer, genau, hohoho.« Der Alte lachte vergnügt. »Man könnte sich beim Menschen in die Schädelsignale einklinken und den Ton wegnehmen oder auch verstärken. Die Schädelformen sind individuell sehr verschieden, sodass der Ton sich nicht ganz wegnehmen ließe, aber ziemlich leise stellen könnte man ihn schon. Man stellt, einfach gesagt, eine Nullresonanz von Schall- und Gegenschallwellen her. Das Wegnehmen von Ton gehört aber zu den harmloseren Ergebnissen meiner Forschung.«
    Wenn das harmlos war, konnte ich mir ausmalen, wie furchtbar der Rest sein musste. Schon beim bloßen Gedanken, dass jedermann nach Belieben den Ton abdrehen oder verstärken konnte, wurde mir schlecht.
    »Der Ton lässt sich in beiden Richtungen wegnehmen, artikulatorisch und auditiv«, sagte der

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