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Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Titel: Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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sagte ich. »Von den Schädeln gehen Töne aus?«
    »Aber sicher«, sagte der Alte. »Jeder Schädel hat seinen eigenen Ton. Eine Art Geheimsignal, könnte man sagen. Die Schädel sprechen, und das meine ich nicht metaphorisch, sondern ganz wörtlich. Zurzeit arbeite ich an der Analyse dieser Signale. Wenn sie erst analysiert sind, eröffnet sich die Möglichkeit, sie künstlich zu beherrschen.«
    »Allerhand«, sagte ich. Bis in die Details war mir das nicht klar, aber wenn es sich so verhielt, wie der Alte sagte, dann war seine Arbeit zweifellos von eminenter Bedeutung. »Das ist ja von eminenter Bedeutung«, sagte ich.
    »In der Tat«, sagte der Alte und nickte. »Dass die Burschen jetzt wild darauf sind, ist kein Wunder. Die hören das Gras wachsen. Und wollen meine Forschungsergebnisse zu üblen Zwecken missbrauchen. Wenn sich aus den Schädeln beispielsweise Erinnerung herausfiltern ließe, könnte man sich Folter sparen. Man brauchte sein Opfer nur umbringen, das Fleisch ablösen und den Schädel reinigen, das wäre alles.«
    »Das ist ja furchtbar«, sagte ich.
    »So weit bin ich aber noch nicht, ob zum Glück oder Unglück, sei dahingestellt. Zurzeit kommt man noch zu präziseren Erinnerungen, wenn man unmittelbar das ausgelöste Hirn filtert.«
    »Na großartig«, sagte ich. Ob Schädel oder Hirn, was machte das für einen Unterschied?
    »Und deshalb bitte ich Sie zu rechnen: Die Labordaten sollen von den Semioten nicht entwendet werden können«, sagte der Alte mit ernstem Gesicht. »Die zivilisatorische Krise, in der wir uns befinden, rührt von der Nutzung, von der Anwendung der Wissenschaften her, im Guten wie im Schlechten. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Wissenschaft nur für die Wissenschaft da zu sein hat.«
    »Ihre Überzeugung in Ehren«, sagte ich. »Eines hätte ich aber gerne klargestellt. Etwas Geschäftliches. Der Auftrag kam diesmal weder vom System noch von einer offiziellen Agentur, sondern direkt von Ihnen. Das ist ein Präzedenzfall. Und es besteht die Möglichkeit, um es noch klarer auszudrücken, dass ein Verstoß gegen die Arbeitsbestimmungen vorliegt. Falls dem so sein sollte, wird man mir eine Disziplinarstrafe auferlegen und die Lizenz entziehen. Das wissen Sie, ja?«
    »Das weiß ich sehr gut«, sagte der Alte. »Dass Sie sich Sorgen machen, kann ich verstehen. Aber der Auftrag ging ganz regulär übers System. Den Büroweg übergangen und Sie direkt kontaktiert habe ich lediglich aus Geheimhaltungsgründen. Eine Disziplinarstrafe wird auf keinen Fall auf Sie zukommen.«
    »Können Sie das garantieren?«
    Der Alte zog einen Aktenordner aus der Schreibtischschublade und reichte ihn mir. Ich blätterte darin. Er enthielt tatsächlich eine offizielle Auftragsschrift des Systems. Das richtige Formular, die richtigen Unterschriften.
    »Sehr schön«, sagte ich und gab den Ordner zurück. »Ich arbeite meinem Rang entsprechend double scale. Das geht in Ordnung, ja? Double scale bedeutet …«
    »Dass Sie das Zweifache der Standardgebühr nehmen. Ich habe nichts dagegen. Ich lege sogar noch einen Bonus zu: triple scale !«
    »Sie sind großzügig.«
    »Die Berechnungen sind sehr wichtig. Und Sie mussten immerhin einen Wasserfall durchqueren!« Er dröhnte wieder.
    »Ich würde mir gerne erst einmal die Zahlen anschauen«, sagte ich. »Welche Methode ich anwende, entscheide ich danach. Wer führt die Berechnungen auf der Computerebene durch?«
    »Das mache ich, auf meinem Computer. Sie kommen, wenn es Ihnen recht ist, vorher und nachher zum Zuge.«
    »Umso besser. Das erspart mir eine Menge Mühe.«
    Der Alte erhob sich und fummelte eine Weile an der Wand herum, bis sich plötzlich eine Stelle auftat, die wie ein Stück Wand ausgesehen hatte. Für dieses Labor hatte man allerhand Aufwand betrieben. Der Alte zog einen zweiten Ordner hervor und verschloss die Öffnung. Die Wand war wieder nichts als eine weiße Wand. Ich nahm den Ordner in Empfang und schaute ihn mir an: Sieben Seiten, klein bedruckt mit Zahlen. Die Werte an sich waren völlig unproblematisch. Reine Zahlen.
    »Die zu waschen dauert keine zehn Minuten«, sagte ich. »Bei so wenigen analogen Häufigkeiten ist kaum zu befürchten, dass temporär überbrückt werden kann. Theoretisch besteht diese Möglichkeit natürlich immer, aber es gibt keinen Nachweis für die Richtigkeit der Brücken, und ohne solchen Nachweis lässt sich der ganze folgende Rattenschwanz von Fehlern nicht ausschließen. Das hieße, ohne Kompass

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