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Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Titel: Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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stehen, bewegte sich in die Höhe und verharrte dann so. Es war ziemlich schwach, sodass ich zuerst nicht richtig sehen konnte, was es anstrahlte, aber nach angestrengtem Starren erkannte ich, dass es ein von einer schwarzen Kapuze verhüllter Kopf war. Auf der Nase saß eine Schutzbrille, wie ich sie trug. Der Mann hatte eine kleine Handlampe, wie man sie in Sportgeschäften verkauft. Damit leuchtete er sein Gesicht an. Er redete in einem fort und eindringlich, wegen des Rauschens konnte ich aber nichts verstehen; zum Lippenlesen war es zu dunkel, und die Mundbewegungen waren zu undeutlich.
    »… liegt an … anzunehmen. Da Ihre … leid, damit …«, schien der Mann zu formulieren, aber das sagte mir wenig. Da aber immerhin keine Gefahr zu bestehen schien, knipste ich die Taschenlampe an, leuchtete von der Seite her mein Gesicht an und gab dem Mann, indem ich mir ans Ohr tippte, zu verstehen, dass ich absolut nichts hören konnte.
    Der Mann nickte ein paar Mal, dass er verstanden habe, setzte seine Handlampe ab, steckte die Hände in die Taschen seines Gummimantels und fummelte darin herum; bald darauf ließ das Getöse um uns langsam nach, als hätte auf einmal Ebbe eingesetzt. Ich dachte, ich sei im Begriff, in Ohnmacht zu fallen, dachte, die Geräusche verschwänden deshalb aus dem Kopf, weil das Bewusstsein sich zurückzog. Und spannte deshalb in der Erwartung umzukippen – warum ich hätte in Ohnmacht fallen sollen, war mir zwar nicht klar – alle Muskeln an.
    Die Sekunden verrannen, doch ich fiel weder um noch wurde mir schlecht. Nur der Geräuschpegel um uns hatte sich gesenkt.
    »Ich bin Ihnen entgegengekommen«, sagte der Mann. Diesmal konnte ich ihn klar und deutlich verstehen.
    Ich schüttelte den Kopf, klemmte mir die Taschenlampe unter den Arm, klappte das Messer zu und verstaute es wieder in der Hosentasche. Was für ein Tag!
    »Was ist denn mit dem Geräuschpegel los?«, fragte ich.
    »Ah ja, der Geräuschpegel. Man verstand ja nichts. Ich habe den Ton leiser gestellt. Entschuldigen Sie. Alles in Ordnung jetzt«, sagte der Mann, immer wieder nickend. Das tosende Rauschen das Baches hatte sich zu einem bloßen Murmeln abgeschwächt.
    »Dann wolln wir mal.«
    Der Mann drehte mir den Rücken zu und stapfte sicheren Schrittes bachauf. Ich ging hinter ihm her, den Boden mit der Taschenlampe ausleuchtend.
    »Den Ton leiser stellen, heißt das, die Geräusche hier sind künstlich?«, sagte ich dorthin, wo ich den Rücken des Mannes vermutete.
    »Nein«, sagte der Mann. »Das sind natürliche Geräusche.«
    »Und Sie können die Natur leiser stellen?«, fragte ich.
    »Genau genommen stelle ich sie nicht leiser«, antwortete der Mann. »Ich nehme Ton weg.«
    Ich schwankte ein bisschen, verzichtete dann aber lieber auf weitere Fragen. Jemanden mit Fragen zu überhäufen stand mir nicht zu. Ich war hergekommen, um meinen Auftrag zu erledigen, und ob mein Auftraggeber nun Ton leiser stellte oder wegnahm oder mit Wodka-Lime verrührte, hatte mit dem Auftrag nicht das Geringste zu tun. Also hielt ich den Mund und lief stumm hinter ihm her.
    Da der Mann das Wasserrauschen weggenommen hatte, war es ringsum sehr still. Sogar das Quietschen der Gummistiefel war deutlich zu hören. Ein paar Mal knirschte es über uns, als ob jemand Kiesel aneinander riebe, dann war es wieder still.
    »Es gab Anzeichen, dass Schwärzlinge hier herumlungern, da bin ich Ihnen lieber entgegengegangen. Normalerweise wagen die sich auf keinen Fall bis hierher vor, aber es ist schon vorgekommen, Teufel auch«, sagte der Mann.
    »Schwärzlinge …«, sagte ich.
    »Sie werden doch nicht wollen, dass die Ihnen auf den Pelz rücken, oder?«, sagte der Mann und lachte, dass es dröhnte.
    »Nur das nicht«, gab ich heiter zurück. Schwärzlinge oder was auch immer – in dieser Rabenschwärze würde ich niemandem und nichts begegnen wollen, was nicht ganz geheuer war.
    »Deshalb bin ich Ihnen entgegengekommen«, wiederholte der Mann. »Mit den Schwärzlingen ist nicht zu spaßen.«
    »Sehr nett von Ihnen«, sagte ich. Nach einer Weile war weiter vorn ein Rauschen zu hören, als hätte jemand vergessen, einen Hahn abzudrehen. Es war der Wasserfall. Ich strahlte ihn nur kurz an und konnte deshalb nichts Genaues sehen, aber er schien ziemlich groß zu sein. Es musste hier, wenn der Ton nicht weggenommen worden wäre, gewaltig tosen. Die Gischt stäubte bis zur Schutzbrille hoch.
    »Da müssen wir durch, nicht?«, fragte ich.
    »Ja«, sagte der

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