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Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Titel: Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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ist doch ’n Witz! Match oder Seiko Matsuda, das kann ich mir nich antun. Police, die sind super. Die könnt ich den ganzen Tag hörn. Reggae bringt’s aber auch. Was haltet ihr von Reggae?«
    »Nicht schlecht«, sagte ich.
    Als das Police -Band zu Ende war, legte der Fahrer Bob Marley ein, ein Live-Mitschnitt. Das ganze Armaturenbrett war voll von Kassetten. Ich war erschöpft, müde, mir war kalt, mein Körper wollte sich in seine Bestandteile auflösen – kein Zustand, in dem ich mich der Musik hätte hingeben können; doch ich war dankbar, dass der Fahrer uns überhaupt mitgenommen hatte. Müde sah ich vom Rücksitz aus zu, wie er beim Steuern reggae-rhythmisch die Schultern schaukeln ließ.
    Als der Wagen vor meinem Apartmenthaus hielt, zahlte ich, stieg aus und gab ihm einen Tausender Trinkgeld: »Für neue Kassetten!«
    »Das freut mich aber, vielen Dank!«, sagte er. »Vielleicht bis demnächst mal!«
    »Ja, vielleicht«, sagte ich.
    »Könnte sein, dass in zehn, fünfzehn Jahren die meisten Taxis Rock spielen. Das wär geil, was?«
    »Und wie«, sagte ich.
    Aber ich hielt es für sehr unwahrscheinlich. Jim Morrison war schon über zehn Jahre tot, und ich hatte noch nie in einem Taxi die Doors gehört. Manches ändert sich in der Welt, manches nicht. Aber was sich nicht ändert, ändert sich nie. Und dazu gehört die Musik in den Taxis. Man hört Volksmusik oder lauscht schlechtem Talk-Show-Gequatsche und Baseball-Live-Übertragungen. Aus Kaufhauslautsprechern dudelt das Raimond-Lefebvre-Orchester, in den Bierhallen dröhnt Polka-Musik, und in den Einkaufsstraßen erklingen ab Ende Herbst die Weihnachtslieder.
    Wir fuhren mit dem Aufzug hoch. Die Tür zu meiner Wohnung hing immer noch aus den Angeln, aber jemand hatte sich die Mühe gemacht, sie in den Rahmen zu drücken, sodass man auf den ersten Blick hätte meinen können, sie sei abgeschlossen. Wer immer es gewesen war, es hatte ihn bestimmt Zeit und Kraft gekostet. Wie ein Cromagnon-Mensch den Stein vor seiner Höhle schob ich die Stahltür ein Stück zur Seite und ließ das Mädchen hinein. Von innen schob ich sie wieder zu, sodass man nicht in die Wohnung sehen konnte, und hakte für alle Fälle die Sicherheitskette ein.
    Die Wohnung war so säuberlich aufgeräumt worden, dass ich einen Augenblick lang glaubte, mir die Zerstörung nur eingebildet zu haben. Das umgestürzte Mobiliar stand, wo es hingehörte, die auf dem Boden zerstreuten Lebensmittel waren weggeräumt, die Glasscherben und das zerbrochene Geschirr verschwunden, meine Bücher standen auf dem Regal, die Schallplatten waren eingeordnet, die Kleidung hing im Schrank. Küche, Bad und Schlafzimmer waren blitzeblank, nichts lag herum.
    Doch bei genauem Hinsehen zeigten sich die Spuren der Verwüstung überall. Statt des zertrümmerten Bildschirms gähnte im Fernseher ein Loch, schwarz wie ein Zeittunnel. Den Kühlschrank hatte man ganz ausgeräumt, er war tot. Die zerschlitzten Kleidungsstücke hatte man alle weggeworfen, der Rest, der im Schrank hing, hätte in eine kleine Reisetasche gepasst. Im Küchenschrank waren nur mehr ein paar Teller und Gläser verblieben. Die Wanduhr stand, und keines der elektrischen Geräte funktionierte, wie es sollte. Alles, was nicht mehr zu gebrauchen zu sein schien, war von irgendjemand weggeworfen worden. Meine Wohnung wirkte entschlackt und geradezu geräumig; es gab nichts Überflüssiges mehr. Wahrscheinlich fehlte auch einiges Notwendige, doch was sollte jetzt für mich schon noch unbedingt notwendig sein?
    Im Badezimmer prüfte ich den Gasboiler. Er war funktionstüchtig, ich ließ Badewasser ein. Seife, Rasierzeug, Zahnbürste, Handtücher, alles war da, auch die Dusche funktionierte. Sogar mein Bademantel hatte die Schlacht überstanden. Bestimmt war auch im Badezimmer einiges verschwunden, doch was, hätte ich nicht zu sagen vermocht.
    Während ich das Badewasser einließ und mich in der Wohnung umsah, las die Dicke auf dem Bett Balzacs Bauern. »Du, in Frankreich hat’s früher auch Ottern gegeben«, rief sie.
    »Klar, warum auch nicht?«, sagte ich.
    »Ob’s jetzt immer noch welche gibt?«
    »Keine Ahnung.« Woher sollte ich das wissen?
    In der Küche setzte ich mich auf einen Stuhl und überlegte, wer den Müllhaufen von Wohnung aufgeräumt haben könnte. Jemand hatte sich zu irgendeinem Zweck der Mühe unterzogen, gründlichst sauber zu machen. Vielleicht das Duo von der Fabrik, vielleicht auch Leute vom System. Aufgrund welcher Normen die

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