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Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Titel: Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Augen. Kolonnen von Autos in allen möglichen Farben schoben sich über die nasse Kreuzung. Man mochte kaum glauben, dass sich tief unter uns die unheimliche Welt der Schwärzlinge erstreckte.
    »Gut, dass es regnet«, sagte das Mädchen.
    »Wieso?«
    »Sonnenschein wäre noch zu grell für uns, wir hätten nicht sofort rausgekonnt. Das ist doch gut, oder?«
    »Wie man’s nimmt«, sagte ich.
    »Was machen wir jetzt?«, fragte sie.
    »Erst mal was Warmes trinken. Dann nach Hause und ins Bad.«
    Wir gingen ins nächste Kaufhaus und bestellten am Sandwich-Stand gleich am Eingang zwei Tassen Maiscreme-Suppe und ein Schinken-Ei-Sandwich. Das Mädchen hinter der Theke schien ob unserer verdreckten Gestalten erst etwas erschrocken zu sein, nahm aber dann, als ob nichts sei, geschäftsmäßig die Bestellung auf: »Zwei Tassen Maissuppe und ein Schinken-Ei-Sandwich, nicht wahr?«
    »Ganz recht«, sagte ich und schob die Frage nach: »Welchen Wochentag haben wir heute?«
    »Sonntag«, sagte die Bedienung.
    »Na, was hab ich gesagt!«, sagte ich zu dem dicken Mädchen.
    Die Zeit, bis die Suppen und das Sandwich kamen, vertrieb ich mir mit der Lektüre der Sports Nippon, die jemand am Nebenplatz hatte liegen lassen. Ich glaubte zwar nicht, dass es Sinn hatte, eine Sportzeitung zu lesen, aber es war besser als gar keine Lektüre. Die Zeitung war auf Sonntag, den 2. Oktober datiert. Sie enthielt zwar keinen Wetterbericht, brachte dafür aber in der Sparte Pferderennen Details zur Regenfront. Gegen Abend würde der Regen voraussichtlich nachlassen, was jedoch, hieß es, auf die letzten Rennen kaum Auswirkungen haben dürfte; auf den großen Rennplätzen sei überall mit schweren Bodenverhältnissen zu rechnen. Im Jingu-Baseballstadion fochten die Swallows ihr letztes Saisonspiel gegen die Dragons aus; die Swallows lagen 2 zu 6 zurück. Kein Wort davon, dass sich direkt unter dem Stadion das Nest der Schwärzlinge befand.
    Meine dicke Begleiterin wollte die hinteren Seiten haben, ich gab sie ihr. Offenbar interessierte sie sich für den Artikel »Macht Männersamen schöne Haut?« Darunter stand der Wahre Bericht einer Frau: »In den Käfig gesperrt und vergewaltigt!« Wie vergewaltigte man eine in einen Käfig gesperrte Frau? Ich wusste es nicht. Wahrscheinlich gab es auch dafür eine besonders geeignete Methode. Aber mühselig war es bestimmt. Nichts für mich.
    »Sag mal, magst du, wenn man deinen Samen schluckt?«, fragte das Mädchen mich.
    »Ist mir egal«, antwortete ich.
    »Hör zu, was hier steht: ›Die meisten Männer haben es gern, wenn Frauen bei der Fellatio den Samen schlucken. Sie finden darin die Bestätigung, dass sie ganz von der Frau angenommen werden. Es ist eine Art Ritual und ein Zeugnis.‹«
    »Verstehe ich nicht«, sagte ich.
    »Hat deinen schon mal jemand geschluckt?«
    »Ich kann mich nicht erinnern. Wahrscheinlich nicht.«
    »Ach«, sagte sie und las weiter.
    Ich widmete mich den Baseball-Ranglisten. Die besten Schlagmänner der Central und der Pacific League.
    Das Essen wurde gebracht. Wir schlürften unsere Suppe und teilten das Sandwich. Es schmeckte nach Toast und Schinken und Eiweiß und Eigelb. Ich wischte mir mit der Serviette ein paar Krümel und ein bisschen Eigelb aus den Mundwinkeln und seufzte. Ein einziger, tiefer Seufzer, stellvertretend für alle, die sich in mir angesammelt hatten. Ein Seufzer, wie man ihn im Leben nicht alle Tage zustande bringt.
    Wir verließen das Kaufhaus und versuchten, ein Taxi zu bekommen. Wir waren so verdreckt, dass es ziemlich dauerte, bis eins hielt. Der Fahrer war ein langhaariger junger Mann; auf dem Beifahrersitz hatte er einen großen Radiorecorder, aus dem Police dröhnte. Ich schrie ihm das Fahrtziel zu und ließ mich ins Polster sinken.
    »Warum seid’n ihr so dreckig?« Der Fahrer schaute in den Rückspiegel.
    »Wir haben uns im Regen eine Schlacht geliefert«, antwortete das Mädchen.
    »Stark, Mann!«, sagte der Fahrer. »Trotzdem, ihr seht furchtbar aus. Du hast da Riesenflecken am Hals!«
    »Ich weiß«, sagte ich.
    »Aber egal, mir macht das nichts«, sagte der Fahrer.
    »Warum nicht?«, fragte das dicke Mädchen.
    »Ich nehm nur junge Leute mit, solche, von denen ich glaube, dass sie auf Rockmusik stehen. Dreckig dürfen sie ruhig sein. Ich brauch nur die Musik, das bringt’s. Mögt ihr Police ?«
    Ich bot ihm ein »Ziemlich« an.
    »Die Zentrale will nich, dass ich das Ding hier laufen lasse. Ich soll das Radio einstellen, auf Volksmusik. Das

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