Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt
Könnten wir das Essen nicht auf morgen Abend verschieben? Morgen ist Montag, die Bibliothek ist geschlossen, wir könnten uns Zeit nehmen.«
»Morgen Nachmittag bin ich nicht mehr da. Ich kann es dir am Telefon nicht lang erklären, aber ich muss eine Weile weg, weit weg.«
»Weit weg? Verreist du?«, fragte sie.
»So ähnlich«, sagte ich.
»Entschuldige, einen Moment bitte, ja?«, sagte sie.
Offenbar hatte sie einem Besucher Auskunft zu geben. Durch den Hörer bekam ich mit, wie es an diesem Sonntagmittag in der Bibliothek zuging. Ein kleines Mädchen schrie, sein Vater schalt es deswegen. Die Tastatur eines Computers wurde angeschlagen. Die Welt war im Lot, alles verlief normal. Die Leute liehen sich in der Bibliothek Bücher aus, Bahnangestellte funkelten Passagiere an, die keine oder die falschen Fahrkarten hatten, auf der Galopprennbahn starteten auch im Regen die Rennen.
»Informationsmaterial zur Modernisierung des Eigenheims«, hörte ich das Mädchen erklären, »schauen Sie bitte bei Regal F 5, dort finden Sie drei Werke dazu.«
Der Besucher sagte etwas, dann meldete sich das Mädchen wieder am Telefon: »Verzeihung. Okay, in Ordnung. Ich lass das Seminar sausen. Dafür werde ich hier aber ganz schön was zu hören kriegen!«
»Das tut mir leid!«
»Macht nichts. In den Flüssen hier in der Gegend gibt’s sowieso schon lange keine Fische mehr. Da kann ich mein Referat ruhig um eine Woche verschieben, das schadet niemand.«
»So gesehen, schon«, sagte ich.
»Wo essen wir denn? Bei dir?«
»Nein, das ist nicht zu machen. Der Kühlschrank ist kaputt, ich hab auch kaum noch Geschirr. Kochen geht nicht.«
»Ich weiß«, sagte sie.
»Du weißt?«
»Ja. Hab ich nicht schön aufgeräumt?«
»Ach, du warst das?«
»Ja. Hätte ich es lieber bleiben lassen sollen? Ich wollte dir heute Morgen noch ein Buch vorbeibringen, die Tür stand offen, da hab ich die Sachen, die herumlagen, weggeräumt. Bin deswegen ein bisschen zu spät zur Arbeit gekommen, aber immerhin hast du mich neulich ja eingeladen. War’s dir nicht recht?«
»Doch, doch«, sagte ich. »Vielen Dank!«
»Okay, holst du mich um zehn nach sechs an der Bibliothek ab? Sonntags haben wir bis sechs Uhr auf.«
»Mach ich«, sagte ich. »Und danke!«
»Nichts zu danken«, sagte sie. Dann legte sie auf.
Ich suchte im Schrank etwas zum Anziehen für den Abend, als die Dicke aus dem Bad kam. Ich reichte ihr ein Handtuch und einen Bademantel. Eine Weile blieb sie nackt vor mir stehen, das Handtuch und den Bademantel in der Hand. Sie hatte sich die Haare gewaschen, sie klebten ihr in der Stirn und an den Wangen, nur die Ohren standen spitz heraus. An den Läppchen baumelten die Goldohrringe.
»Behältst du immer im Bad die Ohrringe an?«, fragte ich.
»Ja, sicher. Hab ich dir doch schon erzählt. Die gehen garantiert nicht auf, die verlier ich nicht. Gefallen sie dir?«
»Sehr«, sagte ich.
Im Bad hingen ihre Unterwäsche, ihr Rock und die Bluse zum Trocknen. Ein rosa BH, ein rosa Slip, ein rosa Rock und eine blassrosa Bluse. Beim bloßen Anblick pochten mir die Schläfen vor Schmerz. Ich hatte es nie gemocht, wenn im Bad Unterwäsche und Strümpfe zum Trocknen aufgehängt wurden. Man frage mich nicht, warum; ich mochte es einfach nicht.
Ich seifte mich ein, wusch mir schnell die Haare, putzte mir die Zähne und rasierte mich. Dann machte ich, dass ich rauskam, trocknete mich ab und zog Unterhose und Hosen an. Die Wunde am Bauch war seit gestern wesentlich besser geworden, und das bei dem, was ich alles mitgemacht hatte. Erst im Bad war mir überhaupt wieder bewusst geworden, dass ich verletzt war. Das dicke Mädchen saß auf dem Bett, fönte sich die Haare und las dabei Balzac. Der Regen draußen schien nicht nachlassen zu wollen. Im Bad hing Unterwäsche, auf dem Bett fönte sich eine Frau die Haare und las dabei, draußen fiel Regen – mir war, als hätte man die Zeit zurückgedreht, als wäre ich wieder verheiratet.
»Brauchst du den Fön?«, fragte das Mädchen.
»Nein«, sagte ich. Meine Frau hatte ihn dagelassen, als sie mich verließ. Ich trage das Haar kurz, ich brauche keinen Fön.
Ich setzte mich neben das Mädchen aufs Bett, lehnte den Kopf an die Rückwand und schloss die Augen. Im Dunkel hinter den Lidern erschienen und verschwanden die verschiedensten Farben. Kein Wunder, ein paar Tage schon hatte ich nicht mehr richtig geschlafen. Sobald ich mich hinlegte, war jemand gekommen, um mich wachzurütteln. Die Augen
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