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Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Titel: Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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welche Überlegungen anstellten und welche Handlungen ausführten, wusste ich nicht. Doch dafür, dass sie aufgeräumt hatten und geputzt, war ich den rätselhaften Saubermännern dankbar. In eine saubere Wohnung heimkommen ist doch etwas Schönes.
    Als das Badewasser fertig war, ging ich ins Schlafzimmer und sagte der Kleinen, dass sie zuerst hinein könne. Sie machte ein Eselsohr ins Buch, lief in die Küche und zog sich flink aus. Es ging so schnell und war so natürlich, dass ich auf der Bettkante sitzen blieb und ihr zusah. Sie hatte einen eigenartigen Leib, nicht den eines Kindes und nicht den einer Erwachsenen. Ein fleischiger, wie gleichmäßig mit Gelee überzogener, weiß glänzender Leib. Ihre körperliche Fülle war von solcher Ausgewogenheit, dass man beinah vergaß, dass sie eigentlich dick war. Die Arme, die Schenkel, der Nacken und der Bauch wölbten sich auf wunderbare Weise und glänzten wie die Haut eines Wales. Ihre Brüste waren vergleichsweise klein, aber recht hübsch geformt, ihr Gesäß war fest.
    »Ich seh nicht so schlecht aus, oder?«, rief sie mir von der Küche aus zu.
    »Ganz und gar nicht«, antwortete ich.
    »So viel Fleisch anzusetzen war furchtbar mühsam. Ich musste jede Menge Reis essen und fetthaltige Kost und Kuchen«, sagte sie.
    Ich nickte nur.
    Während sie im Bad war, entledigte ich mich des Hemdes und der nassen Hosen, zog etwas von den übrig gebliebenen Sachen an, legte mich aufs Bett und überlegte, was ich noch tun könnte. Es war beinahe halb zwölf. Mir blieben nur noch gut 24 Stunden. Ich musste einen genauen Plan aufstellen. Den letzten Tag meines Lebens konnte ich nicht einfach nehmen, wie er kam.
    Draußen regnete es noch. Ein feiner, stiller, mit den Augen kaum zu erkennender Nieselregen, angezeigt nur von den Tropfen, die von der Traufe über dem Fenster zu Boden fielen. Hin und wieder wischten vor dem Haus Autoreifen über den nassen Asphalt. Ein paar Kinder riefen nach jemand. Das Mädchen im Badezimmer sang ein Lied, das ich nicht kannte. Bestimmt wieder ein selbst gemachtes.
    Auf dem Bett fielen mir fast die Augen zu, doch einschlafen durfte ich nicht. Wenn ich schlief, würden Stunden verrinnen, ohne dass ich etwas tat. Doch was, außer schlafen, sollte ich tun, was unternehmen? Ich wusste es nicht. Ich zog den Gummiring vom Schirm der Stehlampe neben dem Bett, spielte eine Weile damit herum und machte ihn dann wieder fest. In der Wohnung konnte ich jedenfalls nicht bleiben. Hier tatenlos herumzusitzen würde gar nichts bringen. Ich musste raus. Erst mal raus, alles andere konnte ich mir anschließend überlegen.
    Nur noch 24 Stunden zu leben zu haben war eine hochmerkwürdige Sache. Ich hätte tausend Dinge zu erledigen haben sollen und konnte mich doch auf nichts, auf nicht das Geringste besinnen. Ich löste wieder den Ring vom Lampenschirm und ließ ihn um den Finger kreisen. Mir fiel das Plakat von Frankfurt ein, das im Supermarkt angeschlagen gewesen war. Es gab einen Fluss, es gab eine Brücke, es gab Schwäne. Nicht schlecht. Dort mein Leben zu beenden, wäre kein schlechter Gedanke. Doch erstens war es kaum möglich, innerhalb von 24 Stunden nach Frankfurt zu kommen, und zweitens wollte ich, wenn es denn möglich wäre, nicht über zehn Stunden in einem engen Flugzeugsitz zubringen und ungenießbare Flugzeugkost essen müssen. Außerdem war nicht auszuschließen, dass das Plakat-Frankfurt schöner war als die wirkliche Stadt. Mit einer Enttäuschung sollte mein Leben auf keinen Fall enden. Alle Reisepläne waren also zu streichen. Reisen kostet Zeit, und in aller Regel ist es nicht so schön, wie man es sich vorher ausgemalt hat.
    Am Ende fiel mir nur eines ein: Mit einer Frau ausgehen, schön essen, etwas trinken. Ich blätterte in meinem Notizbuch, suchte die Nummer der Stadtbücherei heraus, wählte und ließ mich mit der jungen Frau von der Auskunft verbinden.
    »Hallo?«, meldete sie sich.
    »Vielen Dank für die Einhornbücher neulich«, sagte ich.
    »Ich habe zu danken, für Speis und Trank!«, sagte sie.
    »Apropos, hättest du Lust, heute Abend mit mir zu essen?«, lud ich sie ein.
    » Es-sen «, wiederholte sie. »Heute Abend habe ich ein Seminar.«
    »Ein Seminar?«, wiederholte ich.
    »Über die Verschmutzung der Flüsse. Über das Fischsterben, wegen der Einleitung chemischer Mittel und so. Wir arbeiten darüber. Heute Abend bin ich mit meinem Referat dran.«
    »Das scheint ein nützliches Seminar zu sein«, sagte ich.
    »Das ist es.

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