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Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Titel: Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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der Küche zurückkamst, hab ich dich beobachtet.«
    »Und?«
    »Du hast tolle Beine.«
    »Sie gefallen dir?«
    »Außerordentlich!«
    Sie stellte ihr Glas ab und küsste mich unters Ohr. »Weißt du was?«, sagte sie. »Ich liebe Komplimente!«

    Mit der Dämmerung verlor der Schädel, wie von der Sonne gewaschen, nach und nach seinen Lichterglanz, bis er schließlich nur mehr als glatter, weißer Knochen auf dem Tisch stand. Wir hielten uns auf dem Sofa umschlungen und sahen zu, wie jenseits des Vorhanges das Morgenlicht die Dunkelheit verdrängte. Feucht lag der warme Atem der Frau auf meiner Schulter, ihre Brüste waren klein und weich.
    Sie trank den letzten Schluck Wein, kuschelte sich in diese Nische der Zeit und schlief ein. Die Sonne hob das Dach des Nachbarhauses aus dem Dunkel, Vögel ließen sich im Garten nieder und flogen wieder davon. Die Stimme eines Fernsehansagers war zu hören, irgendwo ließ jemand sein Auto an. Ich war nicht mehr müde. Wie lange ich geschlafen hatte, wusste ich nicht, jedenfalls war meine Müdigkeit wie weggeblasen, auch verspürte ich keinen Rausch vom Alkohol. Sachte schob ich ihren Kopf zur Seite, ging in die Küche, trank ein paar Glas Wasser und rauchte eine Zigarette. Dann schloss ich die Tür zum Wohnzimmer und stellte leise das Radio auf dem Küchentisch an. Musik auf UKW. Ich hätte gerne Bob Dylan gehört, aber man spielte Roger Williams – Autumn Leaves. Es war Herbst.
    Ihre Küche war meiner sehr ähnlich. Spüle, Dunstabzug, Kühl- und Gefrierschrank, Gasboiler. Auch Größe, Funktionalität und die Anzahl des Geschirrs und der Küchengeräte waren in etwa gleich. Allerdings hatte sie keinen Gasofen, sondern einen Elektroherd. Und eine Kaffeemaschine. Küchenmesser besaß sie ein ganzes Sortiment, doch der Schliff ließ zu wünschen übrig. Es gibt nicht viele Frauen, die anständig schleifen können. Die Schüsseln waren alle aus hitzebeständigem Pyrex, die Pfanne säuberlich mit Öl ausgewischt. Auch das Abfallsieb in der Spüle hatte sie geleert.
    Warum ich mich so für ihre Küche interessierte, war mir selbst nicht klar. Ich hatte keineswegs vor, bei ihr herumzuschnüffeln; die Dinge fielen mir einfach nur ins Auge. Nach Roger Williams spielte das Frank Chacksfield Orchestra Autumn in New York. Ich stand im herbstlichen Morgenlicht und sah mir die Töpfe, die Pfannen und die Gewürzgläser in den Schränken an. Die Küche schien wie die Welt an sich. Ein Satz wie von Shakespeare: Die Welt ist eine Küche.
    Nach der Musik kündigte eine Frauenstimme an, dass es Herbst sei. Dann sprach sie vom Geruch des ersten Pullovers, den man im Herbst überzieht. John Updike liefere in einem seiner Romane eine wunderbare Beschreibung dieses Geruches. Das nächste Lied war Woody Hermans Early Autumn. Der Kitchen Timer auf dem Tisch zeigte 7:25. Montag, der 3. Oktober, 7 Uhr 25. Der Himmel spannte sich in klarer, tiefer Bläue, wie mit scharfer Klinge geschnitzt. Kein schlechter Tag, um sein Leben zu beenden.
    Ich machte Wasser heiß, blanchierte die Tomaten, die ich im Kühlschrank gefunden hatte, hackte Knoblauch und das vorhandene Gemüse, bereitete aus dem Ganzen eine Tomatensoße, rührte Tomatenmark unter und ließ in der Soße Elsässer Würstchen garen. In der Zwischenzeit machte ich aus Weißkohl und Paprikaschoten einen Salat, stellte die Kaffeemaschine an, besprenkelte ein Stück Baguette mit Wasser, wickelte es in Alufolie und legte es in den Ofentoaster. Als das Frühstück fertig war, weckte ich die Bibliothekarin und räumte die Gläser und leeren Flaschen vom Wohnzimmertisch.
    »Das riecht aber gut!«, sagte sie.
    »Kann ich mich jetzt anziehen?« fragte ich. Ich kann es nicht haben, wenn meine Partnerin vor mir angezogen ist. Vielleicht ein Tribut an die Zivilisationsgesellschaft.
    »Natürlich, bitte, bitte!«, sagte sie und zog ihr T-Shirt aus. Das Morgenlicht zeichnete feine Schatten um ihre Brüste und ihren Bauch und ließ den Flaum auf ihrer Haut glänzen. Sie sah eine Zeit lang an sich herab und sagte dann: »Nicht schlecht, oder?«
    »Ganz im Gegenteil«, sagte ich.
    »Nicht zu dick, und noch keine Falten und Ringe am Bauch. Noch nicht jedenfalls«, sagte sie. Sie stützte die Hände aufs Sofa und sah mich an. »Aber irgendwann wird das vorbei sein, ganz plötzlich. Wie ein Faden, der reißt. Und dann ist es vorbei. Ich könnte heulen, wenn ich dran denke.«
    »Lass uns essen«, sagte ich.
    Sie ging ins Nebenzimmer und zog eine gelbe Trainingsjacke

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