Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt
und eine alte, verblichene Jeans an. Ich trug meine Leinenhose und das Hemd. Dann setzten wir uns einander gegenüber an den Küchentisch, aßen das Brot, die Würstchen und den Salat und tranken Kaffee.
»Findest du dich immer so schnell in fremden Küchen zurecht?«, fragte sie.
»Küchen sind fast überall gleich«, sagte ich. »Man kocht dort, man isst dort. Fast überall dasselbe.«
»Bist du das Single-Dasein nicht manchmal über?«
»Ich weiß nicht. Darüber hab ich noch nie nachgedacht. Ich war zwar fünf Jahre verheiratet, aber ich weiß schon gar nicht mehr, wie das war. Mir kommt’s so vor, als hätte ich schon immer alleine gelebt.«
»Möchtest du nicht wieder heiraten?«
»Das ist mir egal«, sagte ich. »Eins ist wie das andere. Wie bei einer Hundehütte mit einem Ein- und einem Ausgang: Durch welchen der Hund hineingeht und durch welchen er herauskommt, macht keinen großen Unterschied.«
Sie lachte und wischte sich mit einem Papiertuch Tomatensoße aus dem Mundwinkel. »Dass jemand die Ehe mit einer Hundehütte vergleicht, hör ich zum ersten Mal.«
Nach dem Essen wärmte ich den Rest Kaffee auf und goss uns beiden ein.
»Die Tomatensoße war lecker«, sagte sie.
»Sie hätte noch besser geschmeckt, wenn du Lorbeerblätter und Oregano gehabt hättest«, sagte ich. »Und die Würstchen hätten zehn Minuten länger kochen müssen.«
»Es war trotzdem lecker. So gut habe ich schon lange nicht mehr gefrühstückt«, sagte sie. »Was hast du denn heute für Pläne?«
Ich sah auf die Uhr. Halb neun.
»Um neun will ich aus dem Haus«, sagte ich. »Wir könnten in einen Park gehen, uns in die Sonne legen und ein Bier trinken. Um halb elf setz ich dich dann mit dem Wagen irgendwo ab und mach mich auf. Und du, was hast du heute noch vor?«
»Ich geh dann nach Hause, wasche, putze und denke anschließend an Sex. Nicht übel, oder?«
»Nicht übel«, sagte ich. Nicht übel.
»Aber denk ja nicht, dass ich mit jedem gleich ins Bett gehe«, fügte sie hinzu.
»Ich weiß«, sagte ich.
Während ich das Geschirr abwusch, ging sie duschen; sie sang dabei. Mit irgendeinem pflanzlichen Mittel, das fast keinen Schaum gab, spülte ich die Teller und Töpfe, trocknete dann ab und stellte die Sachen auf den Tisch. Dann wusch ich mir die Hände und putzte mir mit einer Zahnbürste, die in der Küche lag, die Zähne. Anschließend ging ich ins Bad und fragte sie, ob sie nicht Rasierzeug hätte.
»Schau mal im Schränkchen rechts oben. Da müsste noch das von meinem Mann stehen.«
Das Schränkchen enthielt in der Tat eine Dose Gillette Lemon-Lime Foam und einen Schick-Nassrasierer. Die Dose war noch halb voll, an der Düse klebte ein bisschen weißer Schaum. Der Tod lässt halb volle Dosen Rasierschaum zurück.
»Hast du’s?«, fragte sie.
»Ja«, sagte ich, nahm Rasierschaum, Rasierer und ein frisches Handtuch mit in die Küche, setzte Wasser auf und rasierte mich. Danach wusch ich die Klinge sauber aus. Im Abfluss verschwanden meine Stoppeln und ein paar des Toten.
Während die Bibliothekarin sich anzog, ließ ich mich im Wohnzimmer auf dem Sofa nieder und las die Zeitung. Ein Taxifahrer hatte während der Fahrt einen Herzanfall erlitten und war mit dem Wagen gegen den Pfeiler einer Überführung geprallt – tot. Die Fahrgäste, eine zweiunddreißigjährige Frau und ein vierjähriges Mädchen, trugen schwere Verletzungen davon. In der Kantine eines Gemeinderates waren zu Mittag schlechte frittierte Austern serviert worden, zwei Tote. Der Außenminister äußerte Befremden gegenüber der amerikanischen Hochzinspolitik, eine Versammlung amerikanischer Bankiers prüfte den Zinssatz nach Mittel- und Südamerika zu vergebender Kredite, der peruanische Finanzminister kritisierte die ökonomische Invasion Südamerikas durch die Vereinigten Staaten, der westdeutsche Außenminister unterstrich die Notwendigkeit eines Ausgleichs des deutsch-japanischen Handelsungleichgewichtes. Syrien übte Kritik an Israel, Israel an Syrien. Außerdem gab es Ratschläge für einen von seinem achtzehnjährigen Sohn körperlich bedrohten Vater. Es stand, mit anderen Worten, nichts in der Zeitung, was mir in meinen letzten Stunden von Nutzen gewesen wäre.
Die Bibliothekarin stand in beigen Baumwollhosen und einer braun karierten Bluse vor dem Spiegel und bürstete sich das Haar. Ich band mir die Krawatte um und zog den Blazer an.
»Was soll mit dem Einhornschädel passieren?«, fragte sie.
»Ich schenk ihn dir«, sagte ich.
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