Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt
oder Stolz nicht das Geringste zu tun. Ich wurde nur benutzt. Jemand benutzte mein Bewusstsein, das ich nicht kannte, um damit, ohne dass ich es wahrnahm, irgendetwas zu verarbeiten. Beim Shuffling konnte ich mich, schien mir, eigentlich nicht mehr als Kalkulator bezeichnen.
Doch mir stand es natürlich nicht zu, die Berechnungsmethode zu wählen, die ich bevorzugte. Man hatte mir zwei Lizenzen erteilt, eine fürs Datenwaschen und eine fürs Shuffling, und wie die Arbeit auszuführen war, wurde mir von oben vorgegeben. Wenn mir das nicht passte, musste ich den Beruf wechseln. Das hatte ich jedoch nicht vor. Es gab, wenn man sich nicht gerade mit dem System anlegte, kaum einen anderen Beruf, wo man allein und frei sein Können entfalten konnte, und die Bezahlung stimmte auch. In fünfzehn Jahren ließ sich genug zurücklegen, um anschließend ein sorgenfreies Leben führen zu können. Dafür hatte ich immer wieder an Tests teilgenommen, deren Durchfallquote einen zur Verzweiflung treiben konnte, und sie schließlich geschafft, dafür hatte ich das harte Training durchgestanden.
Alkohol stört beim Shuffling nicht, eine gewisse Menge wird zum Abbau von Spannungen sogar empfohlen, aber ich persönlich achte immer darauf, vorher völlig nüchtern zu sein. Zudem war, da ich seit dem »Einfrieren« dieser Kodiermethode über zwei Monate nicht mehr geshuffelt hatte, besondere Vorsicht geboten. Ich duschte kalt, betrieb eine Viertelstunde intensiv Gymnastik und trank dann zwei Tassen schwarzen Kaffee. Das reicht in der Regel, um den Restalkohol abzubauen.
Danach öffnete ich den Tresor, entnahm ihm die Seiten mit den getippten Zahlenwerten sowie ein kleinformatiges Tonbandgerät und legte alles auf den Küchentisch. Dann legte ich fünf säuberlich gespitzte Bleistifte und ein Notizbuch zurecht und setzte mich an den Tisch.
Zunächst stellte ich das Tonbandgerät ein. Ich setzte den Kopfhörer auf, ließ den Zähler auf 16 vorlaufen, dann zurück auf 9, dann wieder vor auf 26. Nach zehnsekündigem Arretieren erlosch die Zählerzahl, und der Signalton setzte ein. Bei jedem anderen Vorgehen würde der aufgenommene Ton automatisch gelöscht.
Nach Beendigung dieser Prozedur legte ich rechter Hand das neue Notizheft zurecht und linker Hand die gewaschenen Zahlenwerte. Damit waren die Vorbereitungen beendet. An der Wohnungstür und an allen Fenstern, die eine Einstiegsmöglichkeit boten, zeigte ein Rotlicht an, dass das Warnsystem auf ON stand. Alles in Ordnung, kein Fehler. Ich streckte den Arm aus und drückte auf PLAY; der Signalton setzte ein, sachte und lau kam das Chaos und sog mich in sich auf.
[Mich]
saugt auf ― endlich Chaos →
puǝ ‘uoʇlɐuƃıs ɹǝp
12 DAS ENDE DER WELT
DIE KARTE VOM ENDE DER WELT
Am Tag nach dem Gespräch mit dem Schatten mache ich mich gleich daran, die Karte zu erstellen.
In der Abenddämmerung steige ich zunächst auf den Gipfel des Westhügels und schaue mir das Panorama an. Aber der Hügel ist nicht hoch genug, um die ganze Stadt überblicken zu können, und meine Sehkraft hat sich doch ziemlich verschlechtert; es ist mir unmöglich, den genauen Verlauf der Mauer auszumachen. Ich kann nur die ungefähren Ausmaße der Stadt abschätzen.
Sie ist weder besonders groß noch besonders klein. Das heißt, sie ist weder groß genug, meine Vorstellungskraft und Auffassungsgabe zu übersteigen, noch klein genug, um sie mit einem Blick erfassen zu können. Das ist die ganze Erkenntnis, die mir der Ausflug auf den Westhügel einbringt. Die hohe Mauer schließt die Stadt vollständig ein, der Fluss teilt sie in eine Nord- und eine Südhälfte. Das Abendlicht färbt den Fluss dunkelgrau. Schließlich ertönt das Horn, und das Trommeln der Hufe begräbt alles unter sich, wie Schaum.
Um den genauen Verlauf der Mauer festzustellen, bleibt mir also nichts anderes übrig, als sie zu Fuß abzugehen. Doch das ist keinesfalls so einfach. Ich kann das Haus nur an stark bewölkten Tagen oder abends verlassen und muss gehörig aufpassen, wenn ich in Gegenden will, die weit vom Westhügel entfernt liegen. Es kann vorkommen, dass es plötzlich aufklart, wenn ich am Ziel angekommen bin, oder umgekehrt, dass es in Strömen zu regnen beginnt. Deshalb habe ich den Oberst gebeten, für mich allmorgendlich die Wetterlage zu prüfen. Seine Vorhersage trifft in der Regel zu.
»Habe ja nichts anderes als das Wetter, über das ich mir Gedanken machen könnte«, sagt der Oberst nicht ohne
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