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Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Titel: Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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fürchte mich so sehr vor dem See, dass ich eigentlich nie wieder hin wollte. Irgendetwas Unnatürliches ist da, ganz sicher.«
    »Es wird schon nichts passieren«, sage ich. »Wir sind zu zweit und werden vorsichtig sein. Sie brauchen wirklich keine Angst zu haben.«
    Sie schüttelt den Kopf. »Sie wissen nicht Bescheid, weil Sie noch nicht da waren. Es ist wirklich gefährlich dort. Das Wasser des Sees ist nicht normal, es lockt Menschen in die Tiefe. Ohne Scherz, ich meine das vollkommen ernst!«
    »Ich werd schon aufpassen, dass wir nicht zu nah herangehen«, verspreche ich und nehme ihre Hand. »Ich will nur mal einen Blick drauf werfen.Von weitem reicht.«

    An einem düsteren Tag im November brechen wir also nach dem Mittagessen gen Süden auf. In dem tiefen Tal, das der Fluss kurz vor dem See in die Westseite des Südhügels geschnitten hat, ist der Weg mit dichtem Gestrüpp zugewachsen, weshalb wir gezwungen sind, einen Umweg um die Ostseite des Südhügels zu machen. Die Erde ist dick mit Laub bedeckt, das, da es am Morgen geregnet hat, unter unseren Füßen feucht schmatzt. Unterwegs kommen uns zwei Einhörner entgegen. Sie trotten vorbei, ohne uns zu beachten, die goldenen Köpfe schaukeln gemächlich nach rechts und nach links.
    »Das Futter reicht nicht mehr«, sagt sie. »Der Winter naht, und die Tiere suchen verzweifelt nach Beeren und Nüssen. Dafür wagen sie sich sogar bis hierher vor, wo sie sonst nicht hinkommen.«
    Der Hang des Südhügels liegt hinter uns; von jetzt an sind keine Einhörner mehr zu sehen, ab hier gibt es auch keinen richtigen Weg mehr. Durch verwaiste, ausgetrocknete Felder und verlassene Anwesen gehen wir weiter nach Westen; da dringen vom See her Geräusche an unsere Ohren und werden allmählich lauter.
    Die Laute unterscheiden sich von allem, was ich je gehört habe. Kein Wasserfall, kein Windheulen und auch kein unterirdisches Dröhnen. Sie ähneln vielmehr heftigen Seufzern, ausgestoßen von einer gewaltigen Kehle. Manchmal ist es nur ein leises Winseln, dann wieder ein lautes Stöhnen, ab und an setzt es stoßweise aus oder klingt chaotisch, als würde versucht, es zu ersticken.
    »Das klingt ja fast so, als würde der See uns etwas zuschreien«, sage ich.
    Sie dreht sich nur wortlos zu mir um. Dann bahnt sie sich mit ihren behandschuhten Händen weiter den Weg durchs Gebüsch. »Der Weg ist im Vergleich zu früher viel schlechter geworden«, sagt sie. »Beim letzten Mal war es längst nicht so schlimm. Wir sollten besser umkehren.«
    »Jetzt haben wir es schon bis hierhin geschafft. Komm, lass uns gehen, bis wir nicht mehr weiterkommen.«
    Es geht ständig auf und ab, im dichten Gestrüpp orientieren wir uns am Seufzen des Wassers und sind gute zehn Minuten vorangekommen, als sich das Dickicht plötzlich auftut. Vor uns liegt eine ebene Wiese, die sich zum Fluss hinunterzieht. Rechter Hand blickt man in das tiefe Tal, das der Fluss ausgespült hat. Dort, wo er aus dem Tal heraustritt, verbreitern sich Bett und Ufer, er fließt durch das Dickicht und schließlich durch die Wiese, auf der wir stehen. Ungefähr an der Stelle, wo die Wiese beginnt und er seine letzte Biegung macht, beginnt der Fluss plötzlich zu stocken, ändert allmählich seine Farbe in ein unglückverheißendes tiefes Blau und bläht sich, wie eine Schlange, die sich gerade ein Beutetier einverleibt hat, zu dem riesigen See auf. Ich gehe am Ufer entlang darauf zu.
    »Nicht näher rangehen!«, sagt sie und fasst mich sachte am Arm. »Man sieht keinen Wellengang, er wirkt vollkommen friedlich und ruhig, aber unter der Oberfläche sind starke Strudel, die dich hinunterziehen und nicht wieder hergeben, wenn sie dich einmal erfasst haben.«
    »Wie tief ist er wohl?«
    »Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie tief. Die Strudel fressen sich immer weiter in die Erde, wie Drillbohrer. Dadurch wird der See tiefer und tiefer. Man erzählt sich, dass hier früher die Ketzer und Verbrecher hineingeworfen wurden …«
    »Und was passierte dann mit ihnen?«
    »Sie tauchten nie wieder auf. Von den Höhlen auf dem Grund des Sees hast du sicher gehört, oder? Wenn man einmal in so einen Schlund hinuntergezogen wird, ist man auf alle Ewigkeit dazu verdammt, in der Finsternis der Höhlen umherzuwandern.«
    Die Gegend wird beherrscht vom schweren Atem des Sees, den er wie Dampfschwaden ausstößt. Es hört sich an wie der zahllosen Toten Wehklagen und Stöhnen, das vom Grunde des Sees zu uns heraufhallt.
    Sie hebt ein

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