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Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt

Titel: Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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als er beim System aufgehört hat, meine persönlichen Daten kopiert und mitgenommen?«
    »Das weiß ich nicht«, sagte sie. »Aber gekonnt hätte er es sicherlich. Er war ja der Direktor des system eigenen Forschungsinstitutes und hatte als solcher sowohl Zugang zu allen Daten als auch das Recht, sie zu nutzen.«
    Meine Vermutungen stimmten wohl. Wahrscheinlich hatte der Professor meine persönlichen Daten mitgehen lassen, sie bei seinen privaten Forschungen verwendet und mit mir als seinem Versuchsobjekt die Shufflingtheorie bis an die Grenzen vorangetrieben. So passte alles ins Bild. Der Professor war, ganz wie der Knirps gesagt hatte, zum Kernpunkt seiner Studien vorgestoßen und hatte mich kommen lassen, um mir belangloses Datenmaterial zuzuspielen, das beim Shuffling durch einen versteckten Kode eine psychische Reaktion auslöste.
    Wenn das zutraf, dann hatte diese Reaktion in meinem Bewusstsein – beziehungsweise Unterbewusstsein – bereits eingesetzt. Eine Zeitbombe, hatte der Knirps gesagt. Rasch überschlug ich, wie viel Zeit seit dem Shuffling vergangen war. Aus dem Shuffling erwacht war ich gestern kurz vor Mitternacht, seither waren fast vierundzwanzig Stunden vergangen. Ziemlich viel. Auf welche Zeit die Bombe eingestellt war, wusste ich nicht – aber vierundzwanzig Stunden tickte sie schon, so viel stand fest.
    »Nur noch eine Frage«, sagte ich. » Die Welt geht unter, hast du gesagt, ja?«
    »Ja. So hat es mein Großvater gesagt.«
    »Hat er das gesagt, bevor er meine Daten zu seinen Studien heranzog, oder danach?«
    »Danach«, sagte das Mädchen. »Ich glaube, danach. Vom Untergang der Welt hat er nämlich erst in der allerletzten Zeit gesprochen. Warum? Hat das etwas zu bedeuten?«
    »Ich weiß nicht. Irgendwie stößt mir das auf. Mein Shuffling-Kodewort lautet nämlich Das Ende der Welt. Das kann kaum Zufall sein.«
    »Worum geht es denn bei deinem Ende der Welt ? «
    »Das weiß ich nicht. Es findet zwar in meinem Kopf statt, aber an einer versteckten Stelle, an die ich nicht heran kann. Ich kenne nur das Schlüsselwort: Das Ende der Welt. «
    »Kann man es nicht löschen?«
    »Unmöglich«, sagte ich. »Selbst eine ganze Armeedivision käme nicht an den unterirdischen Tresor des Systems heran. Die Kontrollen sind streng, außerdem ist eine spezielle Sicherung installiert.«
    »Mein Großvater hat die Daten unter Ausnutzung seiner Stellung mitgenommen, nicht wahr?«
    »Höchstwahrscheinlich. Trotzdem, es ist nur eine Vermutung. Wir müssen ihn schon direkt fragen, einen anderen Weg gibt es nicht.«
    »Du wirst ihn also aus den Händen der Schwärzlinge befreien?«
    Ich richtete mich, eine Hand auf den Bauch gepresst, im Bett auf. Stechende Kopfschmerzen.
    »Es bleibt mir wohl nichts anderes übrig«, sagte ich. »Jedenfalls kann ich die Sache nicht einfach auf sich beruhen lassen, auch wenn ich nicht weiß, was es mit dem Ende der Welt deines Großvaters auf sich hat. Ich habe das Gefühl, dass jemanden ein furchtbares Schicksal ereilen wird, wenn wir der Sache nicht irgendwie Einhalt gebieten.« Und dieser Jemand war vermutlich ich selbst.
    »Dazu musst du aber auf jeden Fall erst meinen Großvater befreien.«
    »Weil wir drei so gute Menschen sind?«
    »Genau«, sagte das dicke Mädchen.

18  DAS ENDE DER WELT
TRAUMLESEN
    Ich mache also weiter mit dem Lesen alter Träume, ohne über meine eigene Seele Bescheid zu wissen. Draußen wird es immer kälter, und ich kann schließlich meine Arbeit nicht auf ewig hinausschieben. Solange ich mich auf das Traumlesen konzentriere, vergesse ich außerdem das Verlustgefühl in mir – zumindest kurzfristig.
    Stattdessen nimmt mich jedoch, je mehr alte Träume ich lese, ein anderes Gefühl immer weiter in Beschlag: eine Ohnmacht, die daraus resultiert, dass ich die Nachricht, die mir die alten Träume erzählen, nicht verstehen kann, egal, wie viele ich lese. Ich kann sie lesen, ja, aber ihre Bedeutung bleibt mir verborgen. Ebenso gut könnte ich die Zeit damit verbringen, einen vollkommen unsinnigen Satz immer und immer wieder zu rezitieren oder tagaus, tagein dem Fließen des Flusses zuzusehen. Ich komme einfach nicht weiter. Technisch gesehen habe ich beim Traumlesen Fortschritte gemacht, aber das bringt mich nicht voran. Ich bin zwar jetzt so weit, eine große Anzahl von alten Träumen routiniert und geschickt bewältigen zu können, doch dadurch fällt mir die Hohlheit dieser Tätigkeit umso deutlicher auf. Um des Fortschrittes willen ist der

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