Hard Rock Vampir
Aktion?«
Roggs gähnte erneut und schloss die Augen.
Eva kreuzte die Arme vor der Brust.
Christopher runzelte die Stirn und sagte: »Rache. Wenn du unsere Geschichte konventionell veröffentlichst, steckt man dich in einen Sack mit anderen Verrückten. Niemand wird dir glauben. Selbst, wenn du in eine TV-Redaktion gehst und vor allen Augen einen Menschen trinkst, wird man dich zu töten versuchen und dich für einen zweiten Hannibal Lector halten. Niemand wird annehmen, du bist ein Vampir. Und falls das doch angenommen wird, verschleiert man es. Man erschießt Bin Laden und wirft seine Leiche dreißig Minuten später ins Meer. Man versorgt die Sender mit Lügen und diese Lügen werden gesendet. Wer etwas dagegen sagt, verschwindet aus seinem Job, aus seiner Karriere, und wenn er Pech hat, von der Bildfläche. Das ist Amerika heute! Glaubst du, diesen Leuten bist du auf gängigem Wege gewachsen? Sie werden uns vom Erdboden tilgen. Wir werden nie existiert haben und Major Lockheed wird Besucher durch Hangar IV führen und eine neue gentechnisch manipulierte Radieschenzucht präsentieren.«
Da war was dran.
»Aber könnt ihr euch die Panik vorstellen, wenn wir dort einen auf Phantastische Vier machen?«
»Es wird blitzschnell gehen. Keine zwei Minuten. In dieser Zeit wird es einigen Tumult geben, aber nicht so viel, dass Zuschauer ernsthaft gefährdet werden«, sagte Christopher. »Ich habe Computersimulationen geschrieben und diese zeigen, dass die Aktion nicht schief gehen kann. Wellenbewegungen zwar, aber nicht mehr. Niemand wird zuschaden kommen. Vor der Bühne gibt es zwei Wellenbrecher, mehr, als bei einem Rockkonzert. Und wir? Schlimmstenfalls bekommen wir ein paar Kugeln ab. Das ist ein kalkulierbares Risiko.«
»Und was hast du davon«, fragte ich meinen Urvater, der aussah wie ich, nur älter, viel älter. »Ab sofort wirst du alle Vampirjäger der Welt auf den Fersen haben. Und nicht nur du, sondern wir alle. Wir werden die meistgejagten Kreaturen auf des Teufels Planeten sein!«
Liebe Güte, wie naiv konnte man sein!
Oder wie sehr voller Hass?
Eva kam zu mir. Ihre Lippen waren leicht geöffnet und ich vermutete zwei kleine, spitze Reißzähne dahinter. Sie blickte mich an und unsere Blicke verknoteten sich, völlig ohne Furcht, sondern so, wie Vampire sich anschauen. »Heißt das, du bist nicht dabei?«
»Wer sagt das?«, fauchte ich.
»Wir brauchen dich. Du bist sozusagen die erste Erschütterung, damit wir Zeit haben …«
»Verdammt, ich weiß, was ihr meint«, zischte ich und zum zweiten Mal in den letzten Stunden knisterte es in meinem Kiefer. Ich war sauer, stinksauer, um ehrlich zu sein. Ich war überfordert. Alles war zu viel. Die Eindrücke, die Erfahrungen, die Wahrheit.
Eva streichelte meine Wange und am liebsten hätte ich mein Gesicht an ihrem Hals vergraben, sie gerochen, ihren Rücken liebkost, sie an mich gezogen. Ein paar Stunden alleine mit ihr. Ihren geschmeidigen, kühlen Leib spüren. Liebe Güte, ich wollte sie ficken. Hier, jetzt, jederzeit! Sie war für mich der Inbegriff dessen, was ich nicht begriff, Engel und Dunkelheit gleichermaßen, biblisch, wie gesagt.
Christopher musterte mich mit seinen alten wissenden Augen.
Ich wendete den Blick ab.
Roggs grunzte und schaute mich an wie ein Rockmusiker, dem in der Garderobe soeben einer geblasen worden war. »Und?«
»Gebt mir Zeit, etwas Zeit«, murmelte ich. »Ich muss nachdenken. Für euch ist alles klar, für mich ist alles neu.«
»Er hat recht«, sagte Christopher und erhob sich. Er stand nicht auf, er schob sich nicht in die Höhe, er erhob sich, majestätisch fast und unglaublich gelassen. »Wir werden ihm Ruhe gönnen, denn die braucht er. Und später werden wir sehen, was wird, einverstanden?«
Und plötzlich stand dort ein Vampir, aber kein Film-Dracula, sondern ein uraltes menschenähnliches Wesen mit einem Gesicht wie eine verkrümmte Wurzel. Die Haut war leichenblass, die Augen purpurrot, und der weit geöffnete Mund enthüllte stählerne Rasierklingen, die versetzt zueinander aus dem Zahnfleisch herausragten. Er knurrte und ein rot-schwarzer Blutstrom ergoss sich aus seinem Mund. Abgeschnittene Lippenfetzen fielen auf seine blütenreine Kleidung, glitten die Brust hinab und hinterließen Blutspuren.
Und ich begriff, wie Christopher wirklich aussah, begriff, was einen zweihundert Jahre alten Vampir ausmachte und fühlte mich klein, unwichtig und ganz und gar nicht vampirhaft.
Die Illusion verging so
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