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Harka der Sohn des Haeuptlings

Harka der Sohn des Haeuptlings

Titel: Harka der Sohn des Haeuptlings Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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Jäger alle sammelten. Jubelschreie ertönten von dort, aber die Knaben stießen die ersten dumpfen Klagelaute aus.
    Bald brachte der Knabe, der mit der blutigen Adlerfeder zum Häuptling geritten war, diesen und die anderen Krieger, soweit sie sich schon zusammengefunden hatten, zu dem Platz, wo Sonnenregen tot lag. Mattotaupa verbarg sein Erschrecken und seine tiefe Trauer nicht. Sonnenregen war Mattotaupas Freund und sein bester Mitkämpfer und Berater gewesen. Nun würde er nie mehr mit den anderen gemeinsam den Jagd- oder Kriegsruf ausstoßen oder seine Stimme im Rat bedächtig erheben können.
    Mattotaupa bestimmte zwei Krieger als Wache und schickte Harka mit dem ledigen Pferd zum Lager zurück. Er sollte mitteilen, was geschehen war, damit der Tote abgeholt würde. Auch sollten sich die Frauen mit Pferden und selbst mit Hunden als Lasttiere aufmachen, um von der riesigen Beute schon soviel wie möglich zu bergen, ehe zur Nacht die Wölfe und Kojoten kamen.
    Als Harka im Lager am Pferdebach anlangte, mischten sich Klagen und Jubelrufe, Freude und Schmerz. Bis über den nächsten Winter war die Bärenbande jetzt mit Fleisch versorgt, dazu mit neuen Bogensehnen, mit neuen Zeltplanen und Lederdecken, mit Fellröcken für den Winter. Aber sie hatten auch den besten und erfahrensten Krieger nach dem Häuptling verloren; Tschetan hatte keinen Vater mehr.
    Gehört auch das zur Erfüllung des großen Zaubers? Schon wieder rührten sich die dunklen Zweifel.
    Als es Abend wurde, saß Harka mit Tschetan auf einer der zertretenen, zerwühlten Anhöhen nahe des Dorfes, das am alten Platz wieder aufgebaut worden war. Die beiden saßen bei dem Toten, der in Büffeldecken eingeschlagen war und um den der Wind wehte, so wie er fern in der Prärie auch um die Todesstätte von Harkas Mutter strich. Tschetan wußte schon, daß er nun in das Zelt von Mattotaupas Bruder ziehen würde, der keinen eigenen Sohn, sondern nur zwei kleine Töchter hatte. Der Bursche stützte die Stirn in die Hand, und Harka saß viele Stunden neben ihm. Die Sonne war längst gesunken, die Sterne flimmerten in der Unendlichkeit, der Wind wehte ohne Unterlaß. Am Fuße der Anhöhe rauschte das Wasser sanft und spiegelte den Schimmer des Mondes. Das abendliche Jaulen der Wölfe war schon verstummt. Die Raubtiere konnten eine große Mahlzeit halten.
    Es ging gegen Mitternacht, und noch immer ertönten die Klagegesänge vor dem verwaisten Tipi Sonnenregens. Da löste sich Tschetan aus seiner Unbeweglichkeit und rückte näher an Harka heran. »Ich habe eine Frage«, sagte er leise zu dem Knaben.
    »Sprich, mein größerer Bruder.«
    »Du hast von den Männern gehört, daß sie die Büffelherde im Süden nicht ruhig grasend gefunden haben, sondern schon aufgestört und dahinstürmend in voller Flucht.«
    »Hau, so sagten Mattotaupa und alle Jäger.«
    »Wie kann eine so große Herde zur Flucht gebracht werden?«
    »Durch große Wolfsrudel, durch Feuer oder durch Jäger.«
    »Haben unsere Männer einen Präriebrand gerochen?«
    »Nein.«
    »Haben sie Wölfe gesehen?«
    »Nein.«
    »Haben sie Jäger bemerkt?«
    »Nein.«
    »Warum sind also die Büffel zu Hunderten geflohen?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Weiß es einer der Krieger?«
    »Ich glaube nicht.«
    »Was denkst du?«
    Harka schwieg.
    »Was denken unsere Krieger?«
    Harka schwieg.
    »Warum sprichst du nicht?«
    »Du hast auch nicht immer zu mir gesprochen.«
    »Das ist wahr. Du willst also nicht?«
    »Warum sagst du mir auch heute nicht deine Gedanken, Tschetan?«
    »Weil ich mich davor fürchte.«
    »Ist das wahr?«
    »Es ist wahr. Ich will sofort sterben, wenn ich lüge.«
    »Was gibt es, wovor sich Tschetan, der Sohn Sonnenregens und der Führer der Roten Federn so fürchten kann, daß seine Zunge gelähmt ist?«
    »Wakan.«
    »Ja, Wakan. Zaubergeheimnis.«
    »So ist es.«
    »Also schweigen wir?«
    »Harka, wir denken das gleiche, darum sprechen wir. Zusammen fürchten wir uns nicht so sehr.«
    »Nein, zusammen fürchten wir uns nicht.«
    »Harka – war es das ungeheure Geheimnis der weißen Männer, das die Büffel zu uns gejagt hat?«
    »Es kann sein. Es muß so sein.«
    »Darum konnten unsere Jäger auch die Richtung für die Flucht der Büffel nicht bestimmen, und die Büffel hätten beinahe unsere Zelte und Weiber und Kinder zertrampelt.«
    »Beinahe.«
    »Sie haben Sonnenregen, meinen Vater, getötet. Ich glaube, daß er die Büffel von unserem Dorfe abdrängen wollte.«
    »Das kann kein Mann

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