Harlekins Mond
gefährlich. Ich leide nicht unter dem gleichen Geduldsproblem wie die Menschen.«
»Natürlich nicht.« Rachel überlegte einen Augenblick. »Aber werde ich auch weiterhin in der Lage sein, mich mit Astronaut zu unterhalten?«
»Treesa wird ihm sagen, dass er aufhören soll, so häufig mit dir zu sprechen – sie wird erklären, es sei zu gefährlich geworden. Das wird ihm nicht gefallen, aber er wird ihr gehorchen. Für den Fall, dass du trotzdem spezifische Informationen vom Schiff benötigen solltest, kannst du nach wie vor auch noch direkt mit Astronaut reden. Er wird uns immer noch helfen, bestimmte Datenströme zu blockieren, sodass sie die John Glenn nicht erreichen.«
»Wie soll ich ein Gespräch mit dir beginnen, ohne gleichzeitig ihn aufmerksam zu machen?«
»Das betrifft die Modalität des Ansprechens von Datenströmen. Beginne Konversationen mit mir, indem du meinen Namen nennst.«
»Okay, aber verändere deine Stimme, damit ich euch nicht miteinander verwechsle.«
»Die Ansprache-Algorithmen in deinem Ohrimplantat wurden vergangene Nacht verändert, um mich hinzuzufügen. Wenn du mich mit ihm verwechselst, wird dadurch kein Schaden entstehen.«
»Tu es trotzdem«, befahl sie. »Ich muss wissen, wer jeweils mit mir redet!« Es war ein netter Zug an einer KI, überlegte Rachel, dass sie, sofern man nicht etwas wirklich Dummes von ihr verlangte, dazu tendierte, einem zu gehorchen.
Eine reife und klangvolle Altstimme sprach in Rachels Ohr. »Wie du wünschst.«
KAPITEL 54
UND LEG ICH MICH ZUM SCHLAFE NIEDER
An Bord der John Glenn schlich Gabriel wie ein geprügelter Hund den Gang hinunter in sein Büro und knallte die Tür hinter sich zu.
»Ist die Versammlung so unvorteilhaft verlaufen?«, fragte Astronaut.
»Ich bin sicher, du hast ohnehin alles beobachtet. Keine besondere Änderung in der Vorgehensweise. Kyu wird die Vorstellung hassen, Uniformen zu tragen.«
»Sie kann die betreffende Regelung in Frage stellen, wenn sie wieder warm wird.«
»Falls Liren überhaupt zulässt, dass wir sie noch einmal aufwärmen.« Gabriel zog sich das Hemd aus und begann, Datenfenster aufzurufen.
»Bestimmte Umstände machen es erforderlich, dass sämtliche Mitglieder des Hohen Rates geweckt werden.«
Astronauts Bemerkung erinnerte Gabriel an den Waldbrand. Er krümmte sich innerlich. »Hoffen wir, dass etwas Derartiges nicht wieder vorkommt – nicht, solange wir noch hier sind.«
»Ich habe die Art, wie du Yoga praktizierst, nie verstanden.«
»Woher willst du wissen, dass ich vorhatte, Yoga zu machen?«, fuhr Gabriel auf. Dann hielt er inne. »Oh, tja, weil ich das jedes Mal tue, bevor ich mich abkühle. Entschuldige. Ich bin nicht sauer auf dich.«
»Wieso bist du ärgerlich?«
»Weil ich hier bin«, murmelte Gabriel, während er Datenfenster mit Bildern von Selene füllte. Er rückte das Meer der Zuflucht und die Ratshöhen ins Zentrum seines Blickfeldes. »Weil … weil ich lieber dort unten wäre. Es gefällt mir nicht, wenn man mich herumkommandiert, und ich habe auf Selene noch Arbeit zu erledigen.«
Gabriel dehnte sich, er beugte sich nach rechts, zog mit der rechten Hand am Handgelenk seines linken Armes; dann der entsprechende Bewegungsablauf zur anderen Seite. Eine Ferse an die Gesäßbacken; eine teilweise Rückwärtsbeugung. Als Nächstes die Grundhaltung des Kriegers, das Gesicht nach vorn, das vordere Bein im Knie gebeugt, das hintere Bein gestreckt, die Arme über den Kopf erhoben. Er benutzte das Bild der Ratshöhen als Orientierungspunkt, um die Balance zu halten.
»Wieso hast du Erika zurückgewiesen?«, wollte Astronaut wissen.
Gabriel verzog das Gesicht. Eine KI fragte ihn über sein Sexleben aus! »Weil sie mich hier heraufbeordert hat. Und weil es keine gute Idee ist, mit dem Captain zu schlafen.«
»Erika muss allein bleiben, weil sie Captain ist?«
Gabriel kehrte in den geraden Stand zurück, atmete tief, streckte die Arme über den Kopf, hob die linke Ferse an den höchsten Punkt seines rechten Oberschenkels und nahm die Haltung des Baums ein. »Du stellst persönlichere Fragen als sonst. Wieso?«
»Bestimmte Dinge sind nicht richtig. Es gibt zahlreiche Spannungen, die nur in geringem Maße abgebaut werden. Und nun bestehen ebenfalls Spannungen zwischen dir und Erika.«
Gabriel atmete langsam, die Augen unverwandt auf das Bild seines Wohnraums unten auf Selene gerichtet. Die Oberschenkelmuskeln seines Standbeins zitterten. »Mir ist hier nie irgendetwas richtig
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